Frau Irene schweigt zu Schwesternschwester

Frau Irene SCHWEIGT ZU SCHWESTERNSCHWESTER Nun darf es ja demnächst bei unseren Brüdern-und- so was von losgehen. Nicht runderneuerungsmäßig. Sondern ganz und gar richtig. Und bei den Schwestern erst! Es ist geradezu wie im Märchen. Eine der verwirrendsten mythischen Konstruktionen ist ja die von den drei Wünschen an eine Fee, die irgendein armer Erdenschlucker plötzlich frei hat. Auch von Schluckerinnen wird gelegentlich erzählt; und die stellen sich dann beim Wünschen noch viel dämlicher an als die entsprechenden Märchenmänner. Nie aber gelingt es Männern wie Frauen, das Glück herbeizudefinieren; und das, obwohl sie sogar gewissermaßen die Wiederholungstaste drücken dürfen. Immer ist der letzte Wunsch für die Katz; immer muß er dafür verbraucht werden, daß das Desaster, das unabgesehen und unübersehbar die ersten beiden angerichtet haben, nicht Wirklichkeit wird. Der dritte ist grundsätzlich der Rückrufwunsch. Lieber soll doch bitte und-wenn-sie-nicht -gestorben-sind alles so murksmäßig menschlich bleiben, wie es alleweil immer schon war.

Die momentane historische Falle, in die wir wohl oder übel mit hineinlaufen werden müssen, könnte kaum tückischer konstruiert sein.

Wie im Märchen ist uns die Gelegenheit zum Wünschen beschert. Denn wie mit der Löschtaste ist gerade die sog. DDR genullt worden. Die Uhren beginnen angeblich neu zu ticken mit der Stunde Null. Gehe zurück auf LOS! So zumindest wird es uns von der medialen Westvolksfrontberichterstattung seit Wochen erzählt. Das wirkliche Neunull-Volk kriegt man ohnehin nicht zu Gesicht. Wer weiß, ob es überhaupt existiert. Das auf den vereinigten Fernsehschirmen wirkt jedenfalls so gut wie echt.

Die Teledevise qua Ferndiagnose lautet also: Es darf ganz neu begonnen werden. Ab in die Startlöcher zum Zweiten Leben mit Unserem Osten!

Und in uns, die wir derlei Nullstunden - vorwärts und bloß vergessen! - ja leider zum Glück schon hinter uns haben, erwacht der Missionarsinstinkt. Damit nicht, wie im Märchen, schon der Anfang verpatzt wird, stehen wir mit Rat und Tat bedrohlichen Ausmaßes nicht an. Darüber wäre kein Wort zu verlieren. Schon gar nicht über die neueste kryptosexuelle Vereinigungsmetapher von der Sturzgeburt. Alles, was schiefgehen kann, ist naturwüchsig und kommt aus Frauen. Kein Wort also über solcherlei Vorwegentschuldungssprache, wären da nicht wir Frauen.

Wir Frauen, die wir, nach kolonisiertem Selbstverständnis, bislang aus der Geschichte ziemlich ferngehalten wurden, haben mehrere halbwegs fehlgeschlagene Eintrittsversuche in dieselbe hinter uns. Die heißen retrospektiv Erste und Zweite Frauenbewegung; und letztere gilt im Westen noch als präsent, wenn auch nur in kümmernd autonomer Schrumpfform einesteils bzw. angepaßt geplättetem Mainstream-Design andernteils.

Unsere Schwestern sollen es da nun besser machen, damit sie es dann besser haben. Und wir wollen ihnen helfen dabei. Nach alter Bewegungsfrauenregel gilt es, mit den eigenen Pfunden zu wuchern, Wissen nicht als Macht zu horten, sondern es weiterzugeben, zur Horizontalisierung der Macht quasi. Wir wollen also verhindern, daß unseren Ostneuschwestern ontogenetische Pannen passieren - wo doch jeder Mensch zwangsläufig alle Phasen der Menschheitsgeschichte noch einmal im Schnelldurchgang wiederholt. Für uns Kampfgeschädigte fällt beim Albert -Schweitzern übrigens auch einiges ab: die Wollust nämlich des Ersatzhandelnlassens. Wir stellen diesmal alle Spielsteine auf ihre richtigen Felder, und ab geht's ins Paradies. Und wenn was stellvertretend schiefgeht, sind wir es nicht gewesen.

Gedacht, getan. Und es entstand, zum Beispiel, die Ringvorlesung grenzenlose Frauenforschung an den beiden Berliner Universitäten, Humboldt- und Technische. In bedachtsamer Gleichberechtigungsabsicht haben die Westberliner Konzeptlerinnen zu den Themen dieser Vorlesungsreihe jeweils abwechselnd eine Ost- und eine Westreferentin eingeladen; und es spricht jeweils die Westlerin im Osten respektive umgekehrt.

An diesem Dienstag ging es los. Höflich im Osten, aber auch „speerspitzen„logisch im Osten. Denn erst mal haben ja wir was zu bieten; unsere Frauenbewegung und wie es mit der in den Siebzigern so war. Der Vortrag der feministischen Westsoziologin zur Geschichte der Westfrauenbewegung ist dann wie gehabt. Fadblütiger vielleicht, als man die Sache in Erinnerung hatte. Schließlich war man doch ein bißchen dabei.

Und da sitzt man dann hochoffiziell im Senatssaal der Humboldt-Universität Unter den Linden und fragt sich, ob schon dieser Ort ein Zeichen ist. Aber wofür? Daß wieder mal eine Bewegung verkehrtum, von oben herab begonnen wird? Oder daß die Plätze der Macht gleich zu Anfang schon besetzt und ersetzt worden sind?

Da sitzt man wehmütig und wird sich selber historischer Gegenstand, indem vorne im Vortrag das Bewegte verbal in den Stillstand von geschehener Geschichte gezwängt wird; eher ratloses Relikt denn mögliche Raterin. Und da sitzt man dann; neidisch und ein wenig eifersüchtig auch. Neidisch auf „so viel Anfang war nie“ - so viel Schwachsinn war nie! dort drüben hier. Und eifersüchtig besorgt, ob denn unser Schatz, das Bewegungsstaffelholz, auch in die richtigen Hände gerät, ob sie es wert sind und wem man die Kostbarkeit gönnen mag.

Da sitzt man also, westlich müde, und weiß nicht, ist man nur erschöpft vom eigenen Lauf und kann auf die frische Wutpower des Ostens setzen? Oder kommt die Müdigkeit vom Deja-vu-Schock: Um alles in der Welt, das kennen wir. All das Stolpern, das Schlingern, das Beinchenstellen und den stehenden Sturmlauf!

Man sitzt, hat die Ohren längst verschlossen, saugt sich an den Gesichtern der zuhörenden Frauen im Senatssaal fest und versucht, ihnen Versprechen von Zukunft zu entlocken. Zeitmaschinenpassagiere vom anderen Stern oder doch nur alte Bekannte? Wenn bloß die Geschichte vom Wünschen Märchen bliebe!

Christel Dormagen