: RumundrumdurchdenTierparkFriedrichsfelde
KleineLehreinOrientierungskundeundZoologie: ■ Spazieren ohne Hundekot - Der Promenierzoo
Zu kalt um am Wannsee rumzuliegen, noch zu warm sich engültig hinter Ofen und Glotze zu verkriechen — Herbstzeit ist Spazierzeit. Die Görlitzer Wiese jedoch ist eine Baustelle, der Todesstreifen von Autos und Touristenschwadronen erobert und die Hasenheide sollte längst Hundeweide heißen. Im Tierpark Friedrichsfelde aber ist dieses Vergnügen noch möglich, ohne Benzindämpfe in der Nase und Scheiße vor den Füßen.
Für lumpige drei Mark kann man sich auf einem Areal, das an die Fläche des Flughafens Tempelhof heranreicht, stundenlang unter lauschigen Herbstbäumen die Beine vertreten. Kann dabei den Blick frei schweifen lassen, ohne angstvoll vor seine Füße starren zu müssen, hoch zum herbstlich eingefärbten Blätterdach, zu hinter Baumstämmen vorbeiziehenden Kamelherden, kann Kindern, Müttern, Vätern, Liebspaaren, in einem der vielen Tümpel plantschenden Pelikanen zugucken, das schmucke Barockschlößchen bewundern. Es gibt eine ganze Menge umherstreifender Viecher, Pfauen, Eichhörnchen, Krähen, Gänse, Stockenten und Stadtkaninchen — aber, was für eine Befreiung, keine von hinten heranpreschenden, einen aufdringlich beschnüffelnden, vor die Füße scheißenden Köter!
Der Tierpark ist so weitläufig, daß man's auch spielend schafft, anderthalb Stunden zu spazieren, ohne ein gefangenes Tier sehen zu müssen. Mit den kulinarischen »Versorgungseinrichtungen« kann's einem allerdings ungewollt ähnlich ergehen. Auf hundertsechzig Hektaren verstecken sich zwischen Seen und Teichen, Hügeln, Wiesen und Gehölzen gerade eine Caféteria und ein Imbißhäuschen, wo heiße Bockwürste zu altöstlichen Billigpreisen zu haben wären, wenn man nur fände...Am besten nimmt SpaziergängerIn neben den Nüsschen für die Affen, Eicheln für die Wildschweine und den Fischen für die Robben auch einen Picknickkorb zum Eigenbedarf mit.
Wem's nur um die Tiere geht, ist in Friedrichsfelde fehl am Platz. Die Freiluftgehege sind so groß, die Tierhäuser so weit verstreut, daß, wer zwei verschiedene Arten betrachten will, schon einen mittleren Fußmarsch auf sich nehmen muß. Was an diesem Promenierzoo fasziniert, ist das ungeordnete Durcheinander. Perlhühner, Goldfische und Brombeergestüpp, Mensch, Tier und Pflanzen gehen die wildesten Symbiosen ein: Tauben picken den Pinguinen das Futter weg, ein Starenpärchen hat sich in die Drahtkuppel der Atlantikmöwen und japanischen Sturmschwalben eingeschlichen.
Kinder sind fast vo viele unterwegs wie alle Arten von Schwimm-, Flug, Stelz- und Watschelvögeln: Es macht ebenso viel Spaß wie den Tieren, all diesen Opas, Omas und Mamas bei der Dressur und Weiterbildung ihrer Sprößlinge und Enkel zuzusehen und zu -hören: »Marlene, komm da sofort von der Mauer, du fällst bestimmt hinunter zu den Stachelschweinen!«
Marlene ist schon beim nächsten Gehege, bringt einer alten Wildsau das Apportieren bei. Der kleine Bruder verpetzt sie: »Mutti, Marlene hat den Wildschweinen meine Schokolade zu fressen gegeben! Sie hat die Hände ganz voll Kaka!«
Marlene setzt sich ab zum Kinderspielplatz. Versucht Sekunden später ihren petzenden Bruder in der Wolfsgrube zu »entsorgen«. Die gestresste Mutter kann das Massaker im letzten Augenblick verhindern. Marlene tröstet sich damit, eine Herde aufgebracht schnatternder Chinagänse in die Flucht zu schlagen.
»Mutti, warum füttert dieser Mann die Giraffen mit Zucker? Du hast uns doch gesagt, das tötet die Tiere — ist das ein Mörder, dieser Mann?« Mutti kann sich nur noch Marlene und Petzer krallen und das Weite suchen.
Der Tiergarten ist nicht nur ein Spazier-, er ist auch ein Streichelpark. Die sehr weitmaschigen oder gar nicht vorhandenen Gitter lassen es zu, die Tiere anzufassen. Sogar die halbwüchsigen Löwen und das Panther- Baby kann man vorsichtig an den samtweichen Fußsohlen kraulen. Aber wehe, Mama naht! Ihr Blick, zwei Laserkanonen, die schwarze Blitze verschießen, lassen mich zu Staub zerfallen.
Ist von der Gesamtberliner Verwaltung erst mal grünes Licht für die Finanzierung gegeben, wird die grüne Lunge des Ostens wohl demnächst ein neues Vorzeige-Gesicht erhalten: den entweihten Hirschen werden die abgesäbelten Geweihe wieder angeklebt, das enthornte Rhinozeros kriegt Ausgehverbot. Den Wildschweinen wird wohl bald der Untergrund zubetoniert, damit ihr Geläuf nicht mehr so schweinisch versaut und versuhlt und unaufgeräumt wirkt. Aber noch ist der Tier- und Spazierpark in ganzer Schönheit zu genießen, seine verträumt- verwilderte Atmosphäre. Die leicht kitschige Gartenanlage um das Barockschlößchen, die kunstvoll angelegten Wege, Teiche, Hügel und Blumenbeete haben durch die Patina des Zerfalls an Steifheit verloren — ein angenehm vergammeltes Kleinst-Versaille.
Die nicht allzu wilden kuh- und pferdeähnlichen Tiere, sind nur durch einen hüfthohen Weidezaun von den Menschen getrennt. Beim Bisonbullen, der meinen Streichelversuch wild augenrollend mit wütenden Attacken gegen das dünne Geländer quittiert, wünschte ich mir, es wäre etwas mehr. Verschreckt schlage ich mich in die Büsche.
Im Dschungel hinter dem Schlangenhaus wird der Spaziergänger, die Spaziergängerin brüsk gestoppt von einem mit Elektro- und Stacheldraht bewehrten Wall, gegen den DIE MAUER nur ein Gartenzaun war (dahinter soll sich die alte Stasi-Zentrale befinden). Hinter der Löwengrube wuchert das Gelände zaunlos aus in Gemüsegärten und Industrielandschaften.
Hier, an der Peripherie, außerhalb der Reichweite gestreßter Mütter mit Kinderwagen, ermatteter Omas und Opas, ist der Park absolut ruhig, menschenleer. Der asphaltierte Weg verkümmert zum halb überwachsenen Trampelpfad. Wild wucherndes Gebüsch verdichtet sich zum Dschungel, dazwischen tauchen plötzlich Kohleberg auf, verrostete Bagger, Fabrikschlote. Mitten aus wilden Brombeersträuchern ragt eine riesige Halbkugel aus Draht, gebaut wohl als künstliches Firmament für Exotenvögel, vor der endgültigen Fertigstellung schon wieder der Natur zur Rückeroberung überlassen. Jetzt hüpft eine einsame Elster in der gigantischen Gitterkuppel herum, spielt Zootier. Auf einer Wiese steht ein kaputter Käfigwagen, an einen mittelalterlichen Wanderzoo erinnernd, mit platten Reifen, das Holz vom Regen verwaschen, das aufgeplatzte Gitter mehr mitleiderregend als martialisch, dem Gelächter der Krähen preisgegeben. Bäume, Bäume, Bäume. Hügel. Teiche. Wiesen. Dickicht. Wo ist der Ausgang? Muß ich die Nacht zwischen dem Gebrüll der Löwen und dem Lachen der Hyänen verbringen, zwischen zwei Kamele verkuschelt, um nicht zu erfrieren?
Der Tierpark Friedrichsfelde ist täglich bis 18 Uhr geöffnet und ist erreichbar ab Alex mit U-Bahn bis zur Station »Tierpark«, mit Auto oder Fahrad über die Frankfurter Allee, Straße der Befreiung bis rechts die Straße »Am Tierpark« abzweigt, an der — nomen est omen — der Parkeingang liegt. Nur, wie mensch wieder rauskommt, weiß ich nicht... Robby Robbe
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