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Dauerbrenner Bobby

■ Die 29.Schacholympiade in Novi Sad mit Rekordbeteiligung, aber ohne Bobby Fischer

Bobby Fischer, der Amerikaner, der 1972 mit dem Gewinn der Schachweltmeisterschaft aus der Turnierarena verschwand, ist zu einer lebenden Legende geworden. Wie weit die aus den Emotionen des Kalten Krieges gespeist wird, sei dahingestellt. Jedenfalls können es Organisatoren wichtiger Schauveranstaltungen nicht lassen, ihn anzulocken, um ihrem Anlaß Glanz zu verleihen. Aus Novi Sad, dem Ort der 29.Schacholympiade, wurde der TV-Mann Brankov nach Kalifornien entsandt. Nach 30 Tagen hatte er zwar Fischer nicht aufgestochert, aber dessen Anwalt die Erlaubnis erhalten, eine pompöse Einladung zu schicken. Doch Fischer kommt ja nicht.

Gekommen sind 106 Ländermannschaften der Herren und 66 der Damen. Bei den Herren wurde der Rekord (107) knapp verfehlt, aber bei den Damen stieg die Beteiligung gegenüber Thessaloniki '88 um ein Dutzend; die 29.Schacholympiade ist die umfangreichste Schachveranstaltung, die es je gab. 890 Aktive sind gemeldet, darunter 103 Großmeister. Jede Runde sieht 622 SpielerInnen im Einsatz, deren 311 Partien von 101 SchiedsrichterInnen überwacht werden: es wird das Turnier der Superlative, von dem die Organisatoren träumten.

Vor Turnierbeginn war ein Thema in aller Munde: Spielen die baltischen Länder oder nicht? Estland, Lettland und Litauen waren mit drei Herren- und zwei Damenmannschaften angereist. Der UdSSR-Schachverband, noch 1988 kategorisch gegen ein Spielrecht für die baltischen Sowjetrepubliken, hatte Neutralität signalisiert. Die sowjetischen SpielerInnen waren einstimmig für die Teilnahme ihrer KonkurrentInnen. Staatlich abhängige Länder, die im Weltschachbund FIDE Mitglied sind, gibt es genug: Wales etwa, oder die britischen Virgin Islands.

Aber FIDE-Präsident Campomanes, den Hals in einer Gipsmanschette nach einem Autounfall in Uganda und im Sinn seine dritte Amtsperiode, blieb hart: die Wiederaufnahme der nie förmlich ausgeschlossenen, aber 1946 von der Mitgliederliste gestrichenen Länder sei Sache der FIDE-Vollversammlung, und die tagt erst Ende des Monats. Exweltmeister Tal (Lettland) muß sich sich bis Puerto Rico 1992 gedulden.

Ein Sandkorn ins Getriebe der vorzüglichen Organisation hat die deutsche Einigung geworfen. Ein letztes Mal stellen die SpielerInnen des im (west-)Deutschen Schachbund aufgegangenen (ost-)Deutschen Schachverbandes gesonderte Mannschaften, unter der Bezeichnung „Deutschland-Ost“. Welcher Außenstehende soll derartige Nuancen begreifen? Nur Minuten vor dem üppigen Eröffnungszeremoniell wurde die DDR-Flagge hastig entfernt.

Zur ersten Runde am Samstag hatte die Intervention des deutschen Delegationsleiters Metzing und des Mannschaftsführers der ostdeutschen Herren, Bade, weniger Erfolg. Die Mannschaften mußten unter Flagge und Namen der DDR sitzen, und nur bei den Damen wurde beides gegen Ende der Runde entfernt. Symbole sterben langsamm...

Aufgrund des geänderten Auslosungssystems brachte die Startrunde nicht die David-gegen-Goliath-Begegnungen mit ihren notorischen 4:0-Resultaten. Die BRD- Herren, als Nummer 8 gesetzt, hatten an Rumänien hart genug zu knapsen; die Ostdeutschen verloren gegen die UdSSR 0,5:3,5 — keine Überraschung, denn auch ohne Kasparow und Karpow, die in ihrem fünften WM-Clinch liegen, ist die UdSSR Favorit.

Anders bei den Damen. 1988 jagten die Geschwister Polgar, mit Ildiko Madl als Ersatzspielerin, den sowjetischen Frauen die Goldmedaille ab. Diese dürsten nach Rache (ist Schach doch eine „männliche“ Sportart?). Weltmeisterin Tschiburdanidse führt das UdSSR-Team an, setzte jedoch in der ersten Runde aus; prompt verlor Exweltmeisterin Gaprindaschwili an Brett 1 der Dreiermannschaft gegen die Argentinierin Claudia Amura und war die UdSSR um einen wertvollen Punkt im Rückstand. Denn die drei Polgàrs, Judit, die jüngste, mit kokett ins Harr gepflanztem Minihütchen [und welcher Koketterien bedienten sich die Herren. Langweilig wie immer? d. sin] fertigten die Kubanerinnen mit 3:0 ab. Judit spielt an Brett 2, obwohl sie die spielstärkste der drei Schwestern ist; mit ihrer Elo-Zahl von 2.540 würde sie in der Herrenmannschaft der BRD an Brett 3 sitzen. Eugen Kurz (Novi Sad)

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