: „Wir dürfen diese historische Chance nicht verspielen“
■ Adil Zulfikarpašić, Vorsitzender der „Muslimanischen Bosniakenorganisation“, über die Zukunft von Bosnien-Herzegowina INTERVIEW
Gestern fanden in Bosnien-Herzegowina die ersten freien Wahlen seit Kriegsende statt. In der jugoslawischen Teilrepublik mit der Hauptstadt Sarajewo leben über 40 Prozent Muslimanen, etwa 30 Prozent Serben und 25 Prozent Kroaten, eine Vielvölkerrepublik im Vielvölkerstaat also. Der Banker und Kaufmann Adil Zulfikarpašić, der über 40 Jahre im Schweizer Exil gelebt hat, kämpfte während des Krieges zusammen mit Tito und den Kommunisten gegen die deutsche Besatzung. Heute ist er eine der profiliertesten Persönlichkeiten der muslimanisch-bosnischen Nation. Seine Partei, die sich als eine liberale Partei im Sinne der deutschen FDP versteht und sich wie ihr Vorbild auf die gebildete Mittelschicht stützt, rief er ins Leben, nachdem es im Sommer zu politischen Auseinandersetzungen innerhalb der muslimanischen Volkspartei SDA (Partei der demokratischen Aktion) gekommen war.
taz: Ihre Partei hat in ihrem Namen die beiden Begriffe muslimanisch und bosniakisch aufgenommen. Warum?
Adil Zulfikarpašić: Sie sprechen ein komplexes Problem an, das nur mit Hilfe unserer Geschichte zu erklären ist. Bosniakisch ist ein Begriff, der schon vor, aber auch während der kommunistischen Herrschaft verpönt war. Die „Bosniacka“ wurden nämlich von den Serben zu Serben und von den Kroaten zu Kroaten deklariert, man hat den Bosniern keine eigene Identität zugestehen wollen. Schon zu Zeiten der österreichisch-ungarischen Monarchie wurde keine politische Aktivität im Namen unserer Bevölkerungsgruppe erlaubt, die damalige Herrschaft hat lediglich die Bestrebungen für eine religiöse Autonomie toleriert. Auch der erste jugoslawische Staat zwischen den beiden Weltkriegen hat uns keinen Raum gelassen, der erkannte nämlich nur die Serben, Kroaten und Slowenen als Nationen an. Nach der Machtübernahme der Kommunisten wurden die Bosniaken wieder nicht als Nationalität akzeptiert. Heute haben wir den demokratischen Prozeß dazu genutzt, unsere nationale Identität in aller Öffentlichkeit zu dokumentieren.
Was sagen Sie dazu, wenn der kroatische Präsident Tudjman und der serbische Präsident Milosević in seltener Eintracht durchblicken lassen, ein bosnischer Staat habe gar keine Existenzberechtigung, sondern sei eigentlich Teil Kroatiens beziehungsweise Serbiens?
Das sind nationalistische Töne, die wir natürlich im demokratischen Prozeß nicht ignorieren, sondern selbstverständlich bekämpfen. Wir stehen ein für einen bosnischen Staat, wir sind die Träger der bosnischen Staatsidee. Die kroatischen und serbischen Parteien hier stehen in der Gefahr, dem Einfluß aus Kroatien beziehungsweise Serbien zu unterliegen. Die Führer dieser Volksgruppen in Bosnien zeigen aber tendenziell eine gewisse Bereitschaft, die Probleme hier im Rahmen des bosnischen Interesses zu lösen.
Wir wollen ein brüderliches Zusammenleben aller Volksgruppen auf der Grundlage der Gleichberechtigung. Jede Gruppe soll teilhaben an der Verwaltung und repräsentiert sein in der künftigen Regierung. Wir wollen in Bosnien in einem demokratischen Staat mit den anderen Gruppen im friedlichen Ausgleich zusammenleben. Wir werden nach der Wahl aber mit allen koalieren, die von der bosnischen Staatsidee ausgehen.
In Kroatien und Slowenien sind bei allen Fortschritten im demokratischen Prozeß die Nationalitätenrechte höher eingestuft als die individuellen Bürgerrechte.
In einem multinationalen Staat müssen die Rechte der Nationalitäten garantiert werden. Wir stellen uns ein Zweikammersystem vor, deren eine Kammer das frei gewählte Parlament ist und deren andere Kammer aus Vertretern der Nationalitäten besteht. Die individuellen Bürgerrechte zu garantieren, ist Voraussetzung der Demokratie. Aber die Substanz unserer Gesetze muß immer auch die nationalen Rechte garantieren.
In den letzten Monaten wurde von den beiden nördlichen Republiken Kroatien und Slowenien eine Konföderation der jugoslawischen Republiken vorgeschlagen. Dagegen wollen alle südlichen Republiken an einem föderativen System festhalten. Wie stark soll der Bundesstaat sein?
Der gemeinsame Staat muß so viel Macht erhalten, daß er gut funktionieren kann. Andererseits wollen wir dazu beitragen, die Rechte der Republiken genau zu definieren. Die Diskussion darüber kann aber erst ernsthaft beginnen, wenn in allen Republiken durch demokratische Wahlen legitimierte Regierungen installiert sind.
Sie gehen in ihrer Argumentation immer von den sechs bestehenden Republiken aus. Was ist aber mit der Nationalität, die über keine Republik verfügt, mit den Albanern. Wie stehen Sie zu Kosovo?
Eine Minderheit kann der Mehrheitsbevölkerung kein Land wegnehmen und in einen anderen Staat einbringen. Das geht nicht. Wir wollen, daß die Probleme zwischen den Albanern und Serben in Kosovo gelöst werden, und zwar durch die Mechanismen der Demokratie, durch die Wahl von Volksvertretern.
Wie beurteilen Sie die bisherige Bundesregierung unter Ministerpräsident Ante Marković?
Markovic war früher Mitglied der Kommunistischen Partei, er ist auf der Grundlage der alten Verhältnisse an die Macht gekommen und somit immer noch der Chef einer kommunistischen Regierung. Er hat über den Pluralismus des Eigentums gesprochen, das ist ein richtiger Ansatz zur ökonomischen Öffnung. Solange er diese Ziele tatsächlich verfolgt, werden wir ihn unterstützten.
Marković vertritt eine gesamtjugoslawische Option. Das ist doch eigentlich positiv in einem Land, das an seinen regionalen Konflikten zu zerbrechen droht.
Wenn das so wahr wäre, dann würde dies ein Plus für ihn sein. Doch ich glaube das nicht so recht. Wo war denn Marković, als diese großen Ungerechtigkeiten gegenüber den Kosovo-Albanern geschehen sind? Er hat nicht stabilisierend in den Konflikt eingegriffen. Und wo war er bei den Konflikten in Knin (Knin liegt in Kroatien und ist von Serben bewohnt, die Autonomierechte fordern, A.d.R.)? Wo sind seine gesamtjugoslawischen Lösungen?
Immerhin hat er eine Karte gut ausgespielt. Die Währung ist gegenüber dem Ausland stabil geblieben. Und das ist doch ein bißchen Kitt für Jugoslawien.
Da muß ich Ihnen widersprechen. Die Wirtschaftspolitik ist nur kurzfristig angelegt und zielt auf den momentanen Erfolg. Er will sich dem Volk als Retter präsentieren, doch das ist zu billig, weil die Wirtschaftspolitik nicht seriös ist. Wir haben jetzt einen politischen Kurs der Währung, der künstlich gestützt wird. Eine DM ist offiziell sieben Dinar wert, in Wirklichkeit müßte die Relation eins zu 17 sein. Die Inflationsgefahr ist nicht gebannt.
Wie erklären Sie sich, daß die Europäische Gemeinschaft und damit verbunden die Internationalen Banken dann diesen Kurs stützen?
Wissen Sie, Jugoslawien als Staat ist ja durchaus in Gefahr zu zerbrechen. Das kann nicht das Interesse Europas sein. Deswegen schlucken die genannten Institutionen vieles von der Politik Marković', was anderswo nicht akzeptiert werden würde. Jugoslawien soll nicht zu einem Libanon in Europa werden.
Wir müssen die nationalistischen Konflikte in unserem Land überwinden, die Demokratie könnte uns die Chance dazu geben. Die Mehrzahl der Bevölkerung will einen ruhigen, demokratischen Weg. Die nationalistische Alternative dagegen wäre der nationale Untergang. Wir dürfen diese historische Chance nicht verspielen. Interview: Erich Rathfelder/
Roland Hofwiler
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