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Klischnigg für Könner

■ Zwei Mannsbilder in Kobrastretch machen ein einziges Schließfach unsicher

Hauptbahnhof Bremen, 13 Uhr 55. Wie fragt man an einem normalen Montag nach zwei Schlangenmenschen, die hier ins Schließfach krauchen sollen? Besser nicht, erstmal selber nachschauen, was sich hier tut. Geschäftige Normalität herrscht in der Empfangshalle, auch die Herren von der Gepäckabfertigung scheinen nicht auf Außergewöhnliches zu warten.

Doch dort: Vor den Schließfächern im Bahnhofs-Nordtunnel bildet sich eine kleine Menschentraube, Blitzlichter gewittern. Das Objekt der Neugierde sind zwei schlanke, nette Jungs in Wollpullovern und Lederjacke, mit Schnauzbärten und gegerbten Gesichtern. Sie grinsen auf Kommando, verbeugen sich nach allen Seiten, während Pressesprecher Christoph Ernesti Angaben zur Person unters Volk streut: Tom und Charly Ross heißen die beiden Artisten aus Holland, sie sind 32 und 52 Jahre alt und in der 6. Saison beim Zirkus Fliegenpilz engagiert. Ihre Bahnhofsnummer „Schlangenmenschen im Schließfach“ ist urheberrechtlich geschützt und soll ein Gastspiel des Zirkus Fliegenpilz in Bremen vorankündigen.

Unterdessen haben Tom und Charly ihre Pullis und Lederjacken, Jeans und Schuhe ausgezogen. Zum Vorschein kommen zwei feine Mannsbilder in gelbem Kobrastretch. Einige flinke Aufwärmübungen folgen — zu Hause haben sich die beiden schon eineinghalb Stunden warm trainiert — dann quetscht sich Tom rückwärts ins Schließfach. Chris folgt ihm nach mit schwindelerregenden Körperverrenkungen, die den Genrenamen „Klischnigg“ tragen: Zuletzt hängt nur noch sein Bein aus dem Luk, er nimmt beide Hände zu Hilfe, windet es um sich selbst und verschwindet, irgendwie, tatsächlich in dem Schließfach. Tom und Charly grinsen nochmal fürs Fernsehen, beantworten einige Fragen hinter halbgeöffneter Schließfachtür, dann ist der ganze Spuk vorbei. Wer glaubt, er könne das auch, sei gewarnt: Nur einige Kekse und etwas Kaffee dürfen die beiden Schlangenmenschen vor der Übung zu sich nehmen, sonst verdreht sich den so Verrenkten der Magen. Und Besuche beim Orthopäden sind vorprogrammiert, denn ist es nicht die Wirbelsäule, die den Menschen vom Amphibium unterscheidet? Schaulustige aber können auf ihre Kosten kommen: Am Mittwochabend hat das Gastspiel „Neptuns Reich“ auf dem Grünkamp um 20.00 Uhr Premiere.

Tanya Lieske

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