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„Tamilen nicht abschieben!“

■ Menschenrechtsorganisationen kritisieren die Bonner Ankündigung, den Abschiebestopp für Tamilen aufzuheben/ Etwa 10.000 Flüchtlinge sind betroffen/ Lage in Sri Lanka unverändert dramatisch

Berlin (taz) — Als „Beihilfe zum Mord“ bezeichnete gestern die „Gesellschaft für bedrohte Völker“ die Ankündigung der Bundesregierung, den Abschiebestopp für tamilische Flüchtlinge aus Sri Lanka aufzuheben. Von einer Beruhigung oder gar Verbesserung der Lage der Tamilen in ihrer Heimat könne keine Rede sein. Die Organisation appellierte an die Bundesländer — die nach der Verfassung über einen Abschiebestopp zu entscheiden haben — die Flüchtlinge nicht zurückzuschicken. Von dem Beschluß sind etwa zehntausend Menschen betroffen.

1991 hatten 5.623 BürgerInnen Sri Lankas in der Bundesrepublik einen Asylantrag gestellt. Davon wurden 3,4Prozent anerkannt. Weitere 21,9Prozent der Anträge erledigten sich durch Weiterreise der Betroffenen oder aus anderen Gründen. Im ersten Quartal dieses Jahres suchten 1.347 Srilanker um die Anerkennung als politische Flüchtlinge nach.

Seit dem 1. Januar 1991 waren tamilische Asylsuchende, deren Antrag abgelehnt worden war, nicht mehr in das von blutigen Auseinandersetzungen zwischen der srilankischen Armee und tamilischen Rebellengruppen erschütterte Land abgeschoben worden. Vor allem im Norden und Nordosten Sri Lankas kämpfen bewaffnete Verbände der „Liberation Tigers of Tamil Eelam“ LTTE seit über zehn Jahren für einen eigenen Staat. Die Mehrheit der 17Millionen zählenden Bevölkerung sind buddhistische Singhalesen.

Den Kämpfen, die auf beiden Seiten mit großer Grausamkeit geführt werden, sind allein in den vergangenen zwei Jahren etwa 18.000 Menschen zum Opfer gefallen. Nach Angaben der Gesellschaft für bedrohte Völker starben in den ersten fünf Monaten dieses Jahres mindestens 1.105 Menschen in diesem Konflikt.

Auch die UN-Menschenrechtskommission wies Anfang dieses Jahres auf die erschreckende Lage in Sri Lanka hin. Seit 1983 hat sie 12.000 Fälle von staatlichem „Verschwindenlassen“ registriert. Eine Million Menschen befinden sich allein innerhalb des Landes auf der Flucht, wird geschätzt. Fast jeder zweite Bewohner der von der LTTE kontrollierten nördlichen Halbinsel Jaffna ist geflüchtet. Im Mai dieses Jahres hat die Armee eine neue Offensive gegen die LTTE begonnen. Nachdem bislang alle Verhandlungen zwischen der Regierung in Colombo und der LTTE gescheitert waren, soll der ethnische Konflikt, in den auch die muslimische Minderheit im Osten des Landes zunehmend einbezogen wird, nun endgültig mit Panzern, schwerer Artillerie und starken Marineeinheiten beendet werden.

Allein am vergangenen Donnerstag starben wieder mindestens 50 Menschen, als etwa 6.000 Regierungssoldaten drei Ortschaften angriffen, die nach Armeeangaben Stützpunkte der tamilischen Rebellen waren. Jutta Lietsch

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