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Um Haaresbreite vom schwarzen Loch entfernt

■ Einige Anmerkungen zu einer Absurditätensammlung des Theaters Zerbrochene Fenster mit Namen PILK

Nein. Zu Feinden wird das Publikum diesmal nicht gemacht. Obwohl es durch sein traditionsgewohntes Erscheinen an der ganzen Misere nicht ganz unschuldig zu sein scheint. Ken und John fühlen sich auf der Bühne zwar irgendwie zu Hause — irgendwie aber auch wieder nicht: »Irgend etwas ist komisch«, sagen sie und plieren auf die unbequemen Sitzbänke jenseits der Lichtschranke.

Es dauert, bis Ken den rechten Punkt im irrlichternden Fadenkreuz der Scheinwerfer gefunden hat, um sich kunstgerecht in Szene zu setzen: zweifelsohne eine Kunstfigur, eine Kunstkopie der Wirklichkeit, die mit dem Gedanken — im merkwürdigen Umstandskleid mehr als wörtlich — schwanger geht. Sie fühlt sich unbehaglich: Ist die Realität der Bühne nur eine kopierte? Ein Sich-betrogen-Fühlen macht sich breit, das in der Angst ums bloße Sein die Frage nach dem Sinn gar nicht mehr stellen mag.

Henry, der philosophisch gestimmte Kellner, sucht dagegen um so verbissener nach dem sinnigen Dahinter. Er serviert am liebsten seine klare Suppe — ansonsten aber gerät ihm seine kleine Welt, die aus Tisch, Stuhl und Fußbank besteht, erheblich aus den Fugen; denn er traut den Begriffen nicht, stellt darum Fragen und verheddert sich bedenklich im Dickicht der Gedanken. Wann ist ein Tisch noch ein Tisch? Beginnt er bei weniger als achtundzwanzig Zentimetern Höhe etwa ein Tablett zu sein? Nur soviel scheint klar: Alles, was wir sehen, und alles, was wir begreifen können, liegt nur um Haaresbreite vom schwarzen Loch entfernt. Das Unbekannte, gesucht und gefürchtet im gleichen Atemzug der Gedankenbewegung, verwirrt und sprengt den Rahmen — aber welchen?

Den der Selbstsicherheit. Den des Schutzes vor dem Fremden, das erst, wo es genau lokalisiert ist, erkannt zu werden verspricht. Henriette will mit John im Code reden, um den imaginären Feind, der nicht auftritt und der vielleicht doch im Publikum sitzt, nachhaltig zu verwirren. Das Unternehmen, im Gegenteil zu reden und ständig nein zu sagen, wenn ja gemeint ist, mißlingt kläglich (zur absoluten Lüge scheint der Mensch eben nicht gebaut!). Der Kommunikation der Codierten verschlägt es die Sprache, und die Gedankenwurst verdreht sich immer mehr in sich selbst. Am Ende gilt alle Kraft der Wiedergewinnung einer einigermaßen kommunizierbaren, einfachen Wirklichkeit.

Mit besinnlicher Komik und Lust aufs flackernde Schlaglicht treiben die Schauspieler des Theaters Zerbrochene Fenster die Absurdität der Existenz heraus, bringen sie dabei beileibe nicht auf den undefinierbaren Punkt, sondern nur in Bewegung, ins ständige Kreisen und Schleudern.

Die ineinandergeschachtelten Miniszenen sind in ein theatralisches Ungefähr gerückt, dem Martin Ostrowski zwischen bläulichen Heizrohren und holzfurnierten Großraumflächen adäquat philosophische Tiefe und Unbestimmheit verliehen hat. Karin Plichta-Söding, Gerrit Schulz, Armin Leidel und Johannes Hupka haben sich dabei zu einer spannenden Ensembleleistung zusammengefunden, in der es zu keinen exaltierten Alleingängen kommt. Alle dienen mit ausdauernder Bescheidenheit dem Rätsel unserer Existenz. Die leise Verzahnung der Texte von Ken Campbell, Daniil Charms und vielen anderen hätte vielleicht eine weniger moderate Vortragsweise vertragen, für den leisen Swing der Inszenierung von Ingo Lehmenkuehler waren solche Töne jedoch nicht vorgesehen. So bekommt das ganze einen etwas beiläufigen Aper¿u-Charakter: ein unterhaltsamer, durch Swingmusik und Playback-Persiflage aufgemischter, Traktat auf den homo ludens, der die schon oft gemachte Feststellung nährt: je allgemeiner die Aussagen, um so runder die Ecken und um so tiefer die Tische...PILK baal

Weitere Vorstellungen bis zum 21.September, jeweils donnerstags bis montags, 21 Uhr, im Theater Zerbrochene Fenster, Fidicinstraße 3, Kreuzberg 61

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