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Gründlich ausgebildet in der DDR

■ Bundesbildungsminister Rainer Ortleb ist optmistisch, daß alle Jugendlichen, die in diesem jahr noch keinen Arbeitsplatz haben, eine Lehrstelle finden werden

Bundesbildungsminister Rainer Ortleb ist optimistisch, daß alle Jugendlichen, die in diesem Jahr noch keinen Ausbildungsplatz haben, eine Lehrstelle finden werden.

BÄRBEL PETERSEN und GÜNTER ERMLICH befragten den FDP-Politiker.

taz: In den neuen Bundesländern fehlen gegenwärtig fast 50.000 Lehrstellen. Dagegen werden in den alten Bundesländern, besonders in Baden- Württemberg, händeringend Lehrlinge gesucht. Wie lange soll diese Diskrepanz noch andauern?

Rainer Ortleb: Nach der Berufsberatungsstatistik der Bundesanstalt für Arbeit hatten Ende Juli 38.900 Jugendliche noch keinen Ausbildungsplatz. Ihnen standen rund 16.000 offene Stellen gegenüber. Wirtschaft und Verwaltungen müssen sich also noch einmal anstrengen, um die noch fehlenden Ausbildungsplätze bereitzustellen. Es bestehen gute Chancen, auch dieses Vermittlungsjahr erfolgreich abzuschließen. Dafür müssen aber auch in diesem Jahr voraussichtlich wieder außerbetriebliche Ausbildungsplätze in Anspruch genommen werden. Wir befinden uns in den neuen Ländern mitten in einer grundlegenden wirtschaftlichen Umstrukturierung. Um in dieser Situation den Jugendlichen ausreichende Ausbildungschancen bieten zu können, werden solche von den Arbeitsämtern finanzierte Ausbildungsplätze auch in den kommenden Jahren — wenn auch in abnehmender Zahl — erforderlich sein. Sobald die Wirtschaft Tritt gefaßt hat, wird es auch in den neuen Bundesländern mehr Ausbildungsplätze als Bewerber geben.

Könnte ein befristeter Lehrlings-Transfer von Ost nach West eine Form der Überbrückung der Lehrstellen-Misere sein?

Jeder Jugendliche kann sich im gesamten Bundesgebiet um eine Lehrstelle bewerben. Bereits im vergangenen Jahr haben zum Beispiel rund 20.000 junge Menschen aus Ostdeutschland in den alten Bundesländern eine Ausbildung aufgenommen. Die Bundesanstalt für Arbeit berät Interessenten und gewährt dafür unter bestimmten Voraussetzungen Berufsausbildungsbeihilfe. Ich halte aber — da bin ich mit der Wirtschaft und den Gewerkschaften weitgehend einig — nichts davon, eine solche Ost- West-Wanderung zu propagieren. Ziel muß es weiterhin sein, für die neuen Länder in den neuen Ländern auszubilden.

Einige Berufe in der ehemaligen DDR sind als anerkannte Ausbildungsberufe übernommen worden. Warum nur so wenige? Taugte die DDR-Berufsausbildung nichts?

Die Volkskammer hat sich bereits im Juli 1990 grundsätzlich dafür entschieden, das Berufsbildungssystem Westdeutschlands voll und sehr zügig zu übernehmen. Durch ein Gesetz wurden deshalb auch alle bisherigen Ausbildungsberufe für die Facharbeiterausbildung in der ehemaligen DDR aufgehoben und die Ausbildungsberufe nach dem Berufsbildungsgesetz und der Handwerksordnung eingeführt. Diese Entscheidung ist im Einigungsvertrag unverändert übernommen worden. Damit gelten jetzt — und dies ist aus meiner Sicht sowohl ökonomisch und gesellschaftspolitisch sinnvoll — für die gesamte Bundesrepublik Deutschland dieselben Ausbildungsberufe. Dies Ergebnis ist auch mit Blick auf die Bedürfnisse der Betriebe in der ehemaligen DDR deshalb verantwortbar, weil die meisten ehemaligen DDR-Berufe inhaltlich mit den entsprechenden West-Berufen eng verwandt waren. Unterschiede bestanden im wesentlichen im technischen und ökonomischen Bereich sowie hinsichtlich der Struktur der Ausbildungsberufe. Dort, wo es einerseits Bildungsgänge im Westen nicht gab, wohl aber einen Bedarf des Arbeitsmarktes nach entsprechenden Qualifikationen, sind ehemalige DDR-Berufe — nach einer entsprechenden Anpassung — als gesamtdeutsche Berufe wieder eingeführt worden. Dies war bisher bei den drei Berufen Holzspielzeugmacher/Holzspielzeugmacherin, Eisenbahner/Eisenbahnerin im Betriebsdienst sowie Baugeräteführer der Fall. Diese Linie erscheint mir sowohl mit Blick auf die Arbeitsmarktchancen für Jugendliche als auch auf den Bedarf der Wirtschaft sachgerecht. Sie besagt keinesfalls, daß die DDR-Berufsausbildung „nichts taugte“. In der ehemaligen DDR wurde — wenn auch auf anderem technologischen Niveau und mit anderen gesellschaftlichen Rahmenbedingungen — generell sehr gründlich ausgebildet. Deshalb ist ja auch im Einigungsvertrag festgelegt, daß Facharbeiterabschlüsse der ehemaligen DDR westdeutschen Abschlüssen im dualen System im Niveau gleichstehen.

Warum lassen sich nicht verstärkt östliche Erfahrungen für die westdeutsche Berufsausbildung übernehmen?

Die Berufsausbildung der ehemaligen DDR war vor dem Hintergrund planwirtschaftlicher Rahmenbedingungen konzipiert und ausgestaltet, die nicht ohne weiteres in ein marktwirtschaftlich orientiertes Bildungssystem integriert werden können. Gute Erfahrungen, beispielsweise Ausbildungsmethoden, werden aber natürlich übernommen.

In der ehemaligen DDR gab es die „Messe der Meister von morgen“ (MMM), auf der Jugendliche Erfindungen und Neuheiten aus ihrem Berufsleben vorstellten. Warum wird diese Tradition nicht wieder aufgegriffen?

Das ursprüngliche Ziel der MMM wurde durch ideologische Überfrachtung, Reglementierung, Schönfärberei und Zahlenhascherei immer weniger sichtbar. Möglichst alle Lehrlinge sollten an dieser Bewegung teilnehmen. Dementsprechend hat sich die Beteiligung an der MMM seit 1981 von 52,4 Prozent kontinuierlich auf 93,9 Prozent im Jahr 1988 erhöht. Das konnte inhaltlich durch anspruchsvolle Aufgabenstellungen natürlich in keinem Betrieb gesichert werden. Notwendig ist, das Bewahrenswerte aufzuarbeiten und in die berufliche Begabtenförderung im geeinten Deutschland einzubringen.

Wie greift die Begabtenförderung in den neuen Ländern?

Gegenwärtig beteiligen sich an der neugeschaffenen „Begabtenförderung berufliche Bildung“ 37 von 60 für die Berufsbildung zuständige Stellen aus den neuen Bundesländern. Diese im Vergleich zu den alten Ländern geringere Beteiligung liegt auch daran, daß es manche Berufe in der DDR nicht gab und man jetzt erst warten muß, bis es in diesen Berufen die ersten Absolventen gibt. In diesem Jahr werden voraussichtlich rund 350 Stipendiaten gefördert. Dies entspricht — bezogen auf einen Absolventenlehrgang — einer Aufnahmequote von 0,58 Prozent in den neuen Ländern. Das ist eine Quote, die wir auch bundesweit für die „Begabtenförderung berufliche Bildung“ anstreben.

Bundeswirtschaftsminister Möllemann hat in Ostdeutschland eine groß aufgemachte Kampagne „Aufschwung braucht Ausbildung“ gestartet. Warum gibt es keine konzertierte Aktion mit Ihrem Ministerium sowie dem Arbeitsministerium?

Die Bundesregierung hat vielfältige Initiativen zur Unterstützung der beruflichen Bildung in den neuen Ländern auf den Weg gebracht. Verantwortlich für die Einzelmaßnahmen sind die jeweils zuständigen Ministerien, die auch andere Ressorts beteiligen. Dabei wird unbürokratisch verfahren, damit rasch und wirksam geholfen werden kann. Ich selbst werde in Kürze noch einmal potentielle Ausbildungsbetriebe über die Regionalzeitungen in den neuen Ländern ansprechen, um sie dazu zu bewegen, weitere Ausbildungsplätze anzubieten.

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