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Es lebe die deutsche Sprache

Eigentlich gelten heute noch die Schreibregeln von 1902 — tatsächlich lassen wir uns von den Privatnormen Konrad Dudens tyrannisieren, der sich daran eine goldene Nase verdiente. Jetzt rückt die lange fällige Rechtschreibreform in greifbare Nähe  ■ Von Stefan Matysiak

Schrift ist eine gefährliche Waffe, deren falscher Gebrauch das Abendland in den lange prophezeiten Untergang führen wird. Mit solchen und ähnlichen Argumenten wird seit Jahren versucht, die längst fällige Rechtschreibreform des Deutschen zu bekämpfen. Dennoch stehen die entsprechenden Reformbemühungen kurz vor der Veröffentlichung.

Wie Wolfgang Mentrup vom westdeutschen Institut für deutsche Sprache in Mannheim auf einem Fachvortrag an der Universität Göttingen mitteilte, wird bereits im Herbst als Diskussions- und Entscheidungsgrundlage das Werk „Die deutsche Rechtschreibung — Vorschläge für ihre Erneuerung“ in die Buchläden kommen. Da die beteiligten Arbeitsgruppen aus Österreich, der Schweiz, Ost- und Westdeutschland (Rostock und Mannheim) keine amtlichen Kompetenzen besitzen, müssen die Neuerungen nach der Debatte in der Öffentlichkeit noch den Politikern der beteiligten deutschsprachigen Länder, aber auch Volksvertretern aus Luxemburg und Belgien vorgelegt werden. Bis zur sogenannten dritten Wiener Konferenz Ende kommenden Jahres haben die Parlamentarier Zeit zur Prüfung, für 1995 ist dann abschließend die internationale Übereinkunft vorgesehen.

Während die sprachverwandten Niederländer bereits die fünfte Änderung hinter sich haben, ist im deutschen Sprachraum seit 1902 nichts passiert. „Eine erstarrte Rechtschreibnorm“, urteilt Mentrup, „ist einer lebendigen Sprache nicht angemessen.“ Vor allem die Fehler dienen als Begründung für eine Reform. Ganz oben in der Fehlerhitparade angesiedelt sind vor allem die Kommasetzung, die Laut-Buchstaben-Beziehung und die Groß- und Kleinschreibung. [Genau: mehr lehmskwalidät durch kleinschreipung! d. säzzer] Aber auch bei den Fremdwörtern und der Silbentrennung legen typische Regelverstöße Änderungen nahe. Vor allem die umfangreichen Ausnahmeregelungen sind der Sprachkommission ein Dorn im Auge.

25 Jahre lang, lobt Sprachforscher Mentrup den Aufwand, habe man insbesondere in der DDR genaueste Fehleranalysen betrieben, um Wege zu finden, im Schulunterricht Schreibschwächen so weit wie möglich auszugleichen. Doch trotz aller Anstrengungen seien die derzeit gültigen Regeln nicht erlernbar. „Es gibt Leute, die meinen, sie kennen die Regeln, aber das ist falsch.“ Bei einem gemeinsamen Diktat, vermutet der Mannheimer Regelwerker gegenüber dem in Göttingen anwesenden Fachpublikum, käme niemand der Anwesenden ohne Schnitzer davon.

Ziel aller Reformen müsse es sein, der Sprachgemeinschaft klare und verläßliche Normen zu geben, die nicht in sich widersprüchlich sind. Bei der Kommatierung etwa, klagt Mentrup, gebe es gar „Ausnahmen von der Ausnahme der Ausnahme der Ausnahme“. Die Fachleute wollen deshalb beispielsweise das sehr selten beherrschte Komma vor mit „und“ eingeleiteten Hauptsätzen nicht mehr zur Pflicht machen. Als Kann-Bestimmung soll das Satzzeichen nur noch der Deutlichkeit dienen. Auch beim ß- und ss-Gebrauch wird es künftig mehr Klarheit geben. Nach kurzem Vokal folgt dann „ss“ (Fluss), nach langem hingegen „ß“ (Fuß).

Größere Konsequenz und Einheitlichkeit wird ebenso für die Worttrennung angestrebt. Während die amtlichen Regeln von 1902 hierbei noch mit ein paar Zeilen Erläuterungen auskamen, brachte jede spätere Duden-Ausgabe weitere Komplizierungen. Zukünftig soll nun eine „Weste“ wieder wie die „Wespe“ am Silbenende nach dem „s“ getrennt werden dürfen.

Während die Politiker für diese nicht so weitgehenden Änderungen bereits ihre Zustimmung signalisiert haben, ist der Entscheid zur das

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Schriftbild stärker verfremdenden Klein- und Großschreibung völlig offen. Die Sprachwissenschaftler favorisieren die „gemäßigte“ Kleinschreibung, nach der lediglich Satzanfänge, Eigennamen und Anreden weiter mit kapitalen Buchstaben beginnen würden. Als Alternative zu dieser in den anderen Sprachen Europas gepflegten Form schlugen sie eine leichte Modifizierung des Status quo oder die Beibehaltung der jetzigen Regelung vor. So soll offenbar verhindert werden, daß im Streit um die Großbuchstaben das ganze Projekt scheitert.

Wegen großer Proteste in der Presse haben die Reformer bereits 1988 den Vorschlag zurückgenommen, „ai“ grundsätzlich durch „ei“ zu ersetzen. Bei dieser Gleichmacherei wäre der altbekannte Kaiser zu stark modernisiert worden — für konservative Eiferer ein Alptraum.

Wirklich radikal ist die Sprachkommission nicht vorgegangen, obwohl die Überarbeitung des Notwendigen schon eine Revolution mit sich gebracht hätte. Aber die sei, so Mentrup, in Deutschland nicht möglich.

Die meisten jetzt wieder aktuellen Überlegungen sind bereits ein gutes Jahrhundert alt. Vieles wurde schon nach einer ersten Rechtschreibkonferenz 1876 zwar als richtig und notwendig erachtet, jedoch nicht in das 1902 beschlossene Regelwerk übernommen. Glücklich, überhaupt einheitliche Regeln hervorgebracht zu haben, opferte man schon damals das Sinnvolle dem Opportunismus.

Vordem hatte es eine Vielzahl unterschiedlicher Regeln gegeben, etwa eine allein für Leipziger Schüler oder nur für kaiserlich-österreichische Militärkadetten. Selbst in ein und derselben Schule konnten unterschiedliche Normen vermittelt werden.

Den Sündenfall nach der orthographischen Einheit beging 1915 der bei Schülern berüchtigte Konrad Duden, der die amtlichen Regeln mit seinen persönlichen mischte. Als 1955 die deutschen Kultusminister diese Melange als im Zweifelsfall gültig akzeptierten, erhielt damit nicht nur ein privatwirtschaftlicher Verlag eine staatlich garantierte Einnahmequelle, sondern neben den noch heute gültigen, aber in Vergessenheit geratenen Regeln von 1902 ein zweiter widersprüchlicherer und überkomplizierter Normenkatalog den amtlichen Segen.

Und gerade die bei Duden vorgenommenen Änderungen sind es, „gegen die wir heute zu Felde ziehen“, bezieht Mentrup Position gegen die bei der Bevölkerung als heilig angesehenen Duden-Macher.

Sechzehn Meinungsumfragen sprechen inzwischen für die Reform. Nur kurze Zeit, vermuten die Mannheimer, würde das Lesen zehn Prozent länger dauern, dann aber auch das neue Schriftbild flüssig aufgenommen werden.

Das im Herbst erscheinende Kompendium mit den Änderungen wird auch die rund 300jährige Debatte über die deutsche Rechtschreibung dokumentieren und so die Berechtigung der Vorschläge untermauern. Die Autoren verbinden mit dem Werk die Hoffnung, daß erst nach der Kenntnisnahme die Diskussion über die Reform beginnt. „Unsere Aufforderung zur sachlichen Auseinandersetzung ist ernst“, begegnet Mentrup vor allem jenen, die ihn vor vier Jahren als Sprachverhunzer verunglimpften. Damals ließen nach der Veröffentlichung einiger Überlegungen eingeschliffene Vorlieben jedes sachliche Argument ersticken: Auch hier hat sich die deutsche Sprachgemeinschaft seit 100 Jahren nicht geändert.

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