: Schwarzer Mann in Ossiland
■ Wie sich ein geduldeter Asylbewerber in Rhauderfehn nützlich macht
Als Augustus Kofi Essel 1987 ins ostfriesische Rhauderfehn kam, war er einer der distanziert beäugten „Asylanten“, die das Land in die Obhut der kleinen Gemeinde gibt. In seiner westafrikanischen Heimat Ghana war er politisch unerwünscht. In Rhauderfehn mußte sich der dunkelhäutige Gastbürger gelegentlich ein unüberlegtes „Bimbo“ anhören, wenn er für die Gemeindeverwaltung den Rathausplatz fegte.
Der studierte Lehrer für Mathematik, Physik und Landwirtschaft trugs mit Fassung. Weder rastete er ehrverletzt aus, noch fraß er den „Bimbo“ und anderes wenig Schmeichelhafte schweigend in sich hinein. Mit seiner leisen aber festen Stimme suchte er das Gespräch.
Augustus wurde zum Namen in Rhauderfehn. Seine Frau und seine zwei Kinder leben von Beginn an unbehelligt unter den als wortkarg und gastfreundlich geschätzten Ostfriesen.
Irgendwann entsann man sich seiner Fähigkeiten, die über Straßenfegen und Handlangerdienste hinausgehen. Allen voran die Hauptschule Rhauderfehn und der ostfriesische Landtagsabgeordnete der Grünen, Kalle Puls- Janssen. Schulleitung, Kollegium und der Abgeordnete sorgten dafür, daß Augustus Essel Lehrer an der Schule wurde.
Der 36 Jahre alte Essel stillt seit Jahresbeginn den Wissensdurst von Schülern verschiedener Klassenstufen über Afrika. Als Ergänzung zum Erdkunde- und Geschichtsunterricht, der den Kindern die eigenen „Wurzeln“ zeigen soll.
Wie leben die Leute in Afrika? Was und wie essen sie? Wie feiern, heiraten, trauern, arbeiten und musizieren die Menschen auf dem schwarzen Kontinent? Warum ist es für manchen „primitiv“, wenn ein Afrikaner mit den Fingern ißt, aber „zivilisiert“, wenn ein Europäer auf einer Party das gleiche tut?
Fragen über Fragen, die Essel aus eigener Anschauung und Kenntnis beantworten kann. Die Schüler schätzen inzwischen die Arbeitsgemeinschaften mit dem Mann aus Afrika. Nicht nur, weil sie damit eine andere Pflichtstunde aus dem Stundenplan streichen können, versichert Schulleiter Hermann Hartel.
Der Parlamentarier Puls-Janssen sieht in dem bundesweit wahrscheinlich einmaligen Projekt auch einen politischen „Durchbruch“. Nach einem anstrengenden Lauf über bürokratische Hürden und durch den Paragraphendschungel, aber auch mit der Aufgeschlossenheit von Amtspersonen habe man schließlich mehrere Fliegen mit einer Klappe schlagen können. Ohne die Möglichkeiten eines Landtagsabgeordneten wäre das kaum gelungen, stellt Schulleiter Hartel realistisch fest.
Der im Land offiziell nur „geduldete“ Asylbewerber Essel macht sich mit seinen erlernten Fähigkeiten nützlich. Als angestellter Lehrer fällt er dem Sozialamt nicht mehr auf die Tasche. Schüler und Lehrer profitieren von den Kenntnissen des Afrika-Experten. Ganz nebenbei kann das Kultusministerium beim Programmpunkt „interkulturelle Arbeit“ etwas Neues und möglicherweise Vorbildhaftes auf der Habenseite verbuchen.
Auch unter den Heimatforschern und Freizeithistorikern der Gemeinde ist das Ansehen von Augustus Essel gestiegen. Im örtlichen Heimatmuseum enträtselte er Masken, Werkzeuge und andere Gegenstände, die ganze Generationen von Seefahrern aus Rhauderfehn als Erinnerung an Afrikafahrten mitgebracht und im Keller des Museums gestapelt hatten. dpa / M.Protze
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