: 32 Diebstähle in zwei Monaten
■ Vor dem Landgericht: Das vorläufige Ende einer gewöhnlichen Drogengeschichte
Mit 16 war er heroinabhängig. Seitdem brauchte Wolfgang S. jeden Tag seinen Stoff: „Einen Druck morgens, mittags und abends, jeweils ein halbes Gramm. Von der Sozialhilfe habe ich das nicht zahlen können“, erzählte der 28jährige arbeitslose Betonbauer gestern vor der Großen Strafkammer des Landgerichts. Einbrüche wären für ihn eine leichte Sache gewesen: „Man ist allein, und mit niemanden muß man einen Konflikt austragen.“
Die Liste der nachgewiesenen Brüche innerhalb von knapp zwei Monaten des letzten Jahres liest sich wie ein Tagebuch: 18.8. Wohnung Tresckowstraße: 100 Mark Bargeld, Kleinbildkamera. 18.8. Wohnung Steintor: Fototasche, Walkman, Cd's, Silberlöffel, Armbanduhr. 19.8. Wohnung Feldstraße: „Hat nichts gebracht“. Die Nachbarwohnung: Lederjacke, Video, CD-Player, Schmuck...insgesamt 32 vollendete Nummern, 7 versuchte.
Die Straßennamen im Viertel wiederholen sich. Die Gegenstände sind fast immer die gleichen: Bargeld, CD's, Stereoanlagen, Schmuck. Tagsüber ist er in leere Privatwohnungen eingestiegen, nachts in Büros, je nach Notlage. Wenn er auf turkey ist, dann überlegt er nicht lange, sagt der Junkie: Wenn er einmal ins Haus gelangt ist, sei es ein Kinderspiel, den Zylinderkopf der Wohnungstür rausdrehen. Auch die Landeskirchliche Gemeinschaft mußte an Wolfgang S. ihre Metallspardose abtreten, darin: „nur Pfennigbeträge“.
Als er mehrfach auf frischer Tat ertappt wurde, kam er im Herbst letzten Jahres in U-Haft. Wegen Aussicht auf Freilassung gestand er die Brüche, fuhr mit einem Kripobeamten die Tatorte ab und nahm am Polamidonprogramm teil. Doch nach seiner Entlassung fand sich für ihn keine Wohnung, außer bei seinen alten Junkie-Freunden.
Jeden Morgen um acht Uhr holte er sich in Oslebshausen, seine Portion ab. „Wenn du nur fünf Minuten zu spät bist, kriegst du nix mehr“, sagt Wolfgang. „Nach fünf Wochen setzte ich mir in einem Tiefpunkt den ersten Schuß“, sagte er. Dann ging es mit den Brüchen wieder von vorne los: 17. April: Scheibe im Cafe eingedrückt, um Zigarettenautomaten zu knacken. Von der Polizei festgenommen, am gleichen Tag wieder freigelassen. Seit Juni ist der bereits Vorbestrafte wieder in U-Haft.
„Mein Leben war chaotisch“, erzählt Wofgang S. Mit sechs haben sich seine Eltern scheiden lassen. Für den Stiefvater war das Kind gar nicht da. Wolfgang S.: „Mich hat er weder geprügelt noch mit mir gesprochen“. Mit zwölf schickte seine Mutter ihn ins Heim. Seine Karriere ist typisch: Mehrfach abgehauen, Diebstähle, Jugendstrafe. Mit 16 kam er nach Bremen und lernte die Szene und Heroin kennen. Seine Mutter hat er seitdem nicht mehr gesehen.
Jetzt nach zwölf Jahren Abhängigkeit wolle er weg vom Stoff. „Ich möchte mal ganz normale Sachen machen, sagt er. „Mal ohne die Spritze im Kopf“. Von alleine komme er von der Droge nicht los: „Ich brauche Hilfe“. Mit Polidamin könne er nichts anfangen. Er sei aber bereit, eine Therapie machen, räumte er gegenüber der Richterin Hilka Robrecht ein. Wenigstens wenn er seinen Tiefpunkt habe, brauche er jemanden, der mit ihm spricht. Doch die Richterin ist ein wenig skeptisch: „Zweimal hat er erfolglos versucht, eine Therapie zu machen.“ Ob sich das Gericht für eine Zwangseinweisung aussprechen wird, ist noch offen: „Nach dem Gutachter liegen die Voraussetzung dafür vor.“ Heute um 9 Uhr ist Urteilsverkündung. Marion Wigand
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