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Stasi-Mann forschte Jenaer Dissidenten aus

■ Prozeß vor dem Oberlandesgericht Celle

Wegen Beteiligung an Spionage hat die Generalstaatsanwaltschaft Celle am Donnerstag Anklage gegen einen 52 Jahre alten ehemaligen Mitarbeiter des früheren DDR-Ministeriums für Staatssicherheit (MfS) in Gera erhoben. Der Mann, der letzter Stellvertreter des Leiters der Bezirksverwaltung Gera des MfS war, soll ihm untergebene Agenten zum Auskundschaften staatlicher Institutionen, Kirchen, Parteien und wissenschaftlicher Einrichtungen in der alten Bundesrepublik angeleitet haben. Im Mittelpunkt der Anklage steht der Vorwurf, im Rahmen des Operativvorganges „Weinberg“ die Abteilung XX der Geraer Bezirksverwaltung und die Kreisdienststelle Jena veranlaßt zu haben, mit Hilfe von mindestens vier inoffiziellen Mitarbeitern die persönlichen Verhältnisse und Lebensumstände von 14 Dissidenten aus der „Jenaer Friedengemeinschaft“ auszuforschen.

Damit sollten nach Angaben der Celler Oberstaatsanwältin Silvia Nemetschek sowohl die zwischen 1977 und 1987 nach Westberlin ausgesiedelten Dissidenten als auch ihnen nahestehende Andersdenkende im Raum Jena überwacht, verunsichert und unterdrückt werden. Die Anklage knüpft an drei andere bereits wegen desselben Vorwurfs erhobene Anklagen an. Diese richten sich gegen den letzten Abteilungsleiter der Abteilung XX der Stasi-Bezirksverwaltung Gera, gegen einen Referatsleiter und gegen fünf Angehörige der Kreisdienststelle Jena.

Verhandelt werden die Verfahren vor dem Oberlandesgericht Celle, weil einer der eingesetzten Agenten in Niedersachsen geführt wurde und alle anderen Fälle damit zusammenhängen, erklärte die Sprecherin des Generalstaatsanwalts.

Bei dem Agenten soll es sich um einen Kirchen-Mitarbeiter handeln, der als informeller Mitarbeiter der Stasi die Universität Tübingen ausgeforscht haben soll. Er war nach dem Studium als Jugendbildungsreferent der Oldenburgischen Landeskirche tätig und soll als ehemalige MfS-Offizier enttarnt worden sein. Er habe bereits 1966 eine Verpflichtungserklärung für die Stasi unterschrieben, hieß es aus Justizkreisen. Dieser Fall liegt nach dieser Information seit anderhalb Jahren unbearbeitet beim Oberlandesgericht Celle. dpa

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