piwik no script img

Die Angst ist eine kleine schmale Frau

■ „Tick“ – Daniil Charms im acud

Das acud ist keine bekannte Theaterspielstätte, die Gruppe KOBOSO hat noch keinen Namen, Regisseurin Heike Hanefeld noch keine Szene-Erfahrung. Sie spielen Texte von Daniil Charms, den kaum jemand kennt...

Das Stück heißt „Tick“, und es ist der Großstadt gewidmet. Fünf Urbane, drei Männer und zwei Frauen, versuchen, miteinander ins Spiel zu kommen. Sie sind der Aalglatte, der Charmeur, der Brutalo, die Mondäne, die Mutti. Und sie sind auch ihr Gegenteil. Sie reden kaum miteinander, dafür um so mehr aneinander vorbei, aufeinander ein, drauflos. Ihre Stories handeln von verkauften Metallbetten, toten Kassierinnen, Preisrätseln, Weltläuften. Eine mit durchsichtiger Plaste bespannte Drehtür verhindert ein Treffen der Figuren: Warten, Langweilen, Anmachen, Streiten. Einschüchtern, Erniedrigen füllt die Bühne.

Das Wort Angst wird gespielt von der kleinen schmalen Frau. Ihr Bemühen, unauffällig zu sein, assoziiert „Mutti“. Sie ist nicht anrührend und auch nicht Opfer. Sie macht Wut, wie sie da ihre Ohnmacht vorführt, wie sie huscht und kuscht, sich zum Dreinschlagen anbietet. Und die Kleine kennt die Regeln, ist fast in jeder Szene zugegen, verfolgt Handlung und Rede der anderen – mal Mohrrüben kauend, mal hin- und hertrippelnd. So lange, bis sie auch mal was sagen darf. Aber was ihr mitteilenswert ist, hört niemand. Allein das Finale, das hat die Regisseurin ihr gegeben. Der kleinen huschigen Frau gehört dann die Bühne allein.

„Tick“ ist keine Annäherung an das Leben des Dichters, kein Sittenbild aus dem Rußland der dreißiger Jahre, keine Parabel auf Totalitarismus. Wenn auch gesungen wird – nicht nur russisch – ist „Tick“ keine Folklore. Es hat von allem etwas. Dazu einen Hauch Wehmut, der an Blicke in der U-Bahn denken läßt und an andere urbane Nicht-Gelegenheiten.

Diese dritte Produktion von KOmischBOdenständigSOlide ist der Truppe auf den Leib geschrieben. Heike Hanefeld – bisher am Hallenser Opernhaus als Dramaturgin und Regisseurin praktizierend – traf auf KOBOSO an einem ihrer Scheerbart-Abende. Die Lust der fünf AkteurInnen auf Absurdes und Groteskes kam auch über Frau Hanefeld und ließ sie fortan Charms lesen. „Tick“ entstand.

„Ich bin ein Prinz“, heißt es da, „Dann spritz' ich dich mit Suppe voll“, kommt es zurück. „Ich denke so und du so.“ Absurde Dialektik. Vera Lorenz

„Tick“: Heute, 29.4.-1.5., 20.30 Uhr, im acud, Veteranenstraße 21.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen