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Der billige Jakob

■ n-tv: Viel Technik, wenig Personal, kaum ZuschauerInnen

Alle fundamentalen Wissensätze beginnen bei n-tv mit den Worten „Wie Staisch einmal gesagt hat“. Einer davon war die Warnung des n-tv-Chefredakteurs an alle Zuschauer, das Programm länger als eine halbe Stunde am Stück zu sehen. Doch die Mitarbeiter halten sich nicht an diesen guten Rat: Auch im Büro von Pressesprecherin Angelika Sick berichtet gerade der n-tv-Wirtschaftsredakteur tonlos auf dem Monitor, während sie erzählt, daß der Geschäftsführer Karl-Heinz Kuhlo bereits im Jahre 1986 die Idee zu einem deutschen Nachrichtensender hatte. Lange bevor CNN bekannt wurde, habe Kuhlo den Bedarf entdeckt, Nachrichten nicht nur um acht zu sehen. 30 Prozent der Menschen, ließ er ermitteln, kommen zu einer Zeit nach Hause, zu der sie die „Tagesschau“ nicht von Anfang an sehen können.

Die Idee wäre eine Idee geblieben, hätte Kuhlo nicht auch eine Möglichkeit zur Finanzierung entdeckt: Als eine Art „billiger Jakob“ im Fernsehmarkt. Durch Spezialisierung und große Mengen kann er Nachrichten als Sonderangebote verkaufen, mit Selbstbedienung und Öffnungszeiten rund um die Uhr. Und wer sich heute, fast fünf Monate nach Geschäftseröffnung mit Angela Sick und anderen VerkäuferInnen über den Laden n-tv unterhält, stößt auf ein zur Schau gestelltes Selbstbewußtsein: Danach dürfte es gar keine anderen Sender mehr geben, die es anders machen, als n-tv.

Ökonomischer zumindest geht es kaum. Nur 110 Redakteure müssen 24 Stunden Programm machen, und das mit einem Jahresetat, der mit 100 Millionen Mark nur ein Drittel von dem beträgt, was Vox ausgibt. Gespart wird zum Beispiel bei eigenen Korrespondenten – man verzichtet komplett auf sie. Stattdessen kooperiert n-tv mit der Deutschen Fernseh-Nachrichtenagentur (DFA) und zeigt deren Berichte. „Einen festen Korrespondenten für Südostasien“, sagt Sick, „kann sich nur ein gebührenfinanziertes Programm wie ARD oder ZDF leisten.“

Die Lösung ist billig, aber problematisch. Es kommt vor, daß sich die aktuelle Redaktion im Newsroom fassungslos vor dem Monitor versammelt, auf dem ununterbrochen n-tv läuft, und sich kollektiv über den Bericht eines DFA-Korrespondenten ärgert — ihr eigener Einfluß auf die Beiträge hält sich in engen Grenzen. Peter Staisch räumt ein, daß die Auslandsberichterstattung allenfalls „ganz ordentlich“ sei. Die Korrespondentendichte verschaffe ARD und ZDF einen qualitativen Vorsprung, doch deren Infrastruktur „rechne sich eben nicht“. Später, „wenn wir entsprechend Geld verdienen“, sollen eigene Büros aufgebaut werden.

Das System „Newsstar“ bietet eine weitere Möglichkeit, Personal zu sparen. Dadurch, daß erstmals Redaktions- und Produktionssystem miteinander verknüpft wurden, müssen die Redakteure fast alle Arbeiten an ihrem Bildschirm erledigen — ohne einen Techniker oder Grafiker einzuschalten. Den Text, der später automatisch im Teleprompter für den Sprecher im Studio erscheint, gibt der Journalist ebenso einfach in seinen Computer ein wie die Überschrift und die Grafik, die dann im Hintergrund des Bildes gezeigt werden.

Die Technik macht es möglich, daß einschließlich der Chefs nur noch zwölf Redakteure eingesetzt werden, um aus den eingehenden Bildern und Nachrichten das Programm zu basteln, und das im Extremfall in weniger als 60 Sekunden – der Druck auf die Leute ist enorm. Eine Ressortaufteilung gibt es nicht: „Staisch hat einmal gesagt“, sagt Angelika Sick, „sonst würden 95 von 100 Redakteuren das Ausland bearbeiten wollen, fünf den Sport, und der Rest bleibt liegen.“

Ganz allein mit dem Teleprompter in der Gruft

Die alles dominierende moderne technische Ausstattung hat unangenehme Seiten. Sprecherin Marianne Beland sitzt mutterseelenallein in der „Gruft“, wie das vollautomatische Aufnahmestudio ohne Kameramänner genannt wird. Im Computer kann sie lesen, was die Redakteure in den nächsten Minuten und Stunden geplant haben. Per Ton ist sie mit der Regie verbunden. Blickkontakt hat sie nur mit sich selbst – auf den Monitoren, die ihr das laufende Programm zeigen. „Man gewöhnt sich daran, sich drei Stunden lang etwas zu erzählen“, sagt Beland.

Die Grafiker gewöhnen sich erst langsam an ihre Technik. Nach und nach lernen sie, die Möglichkeiten zu nutzen, die ihnen das System bietet. Da die hochmoderne Anlage sonst nirgends auf der Welt steht, gibt es auch niemanden, den sie um Rat fragen könnten. Inzwischen sind sie offenbar dahintergekommen, wie's geht, und haben erst mal kräftig Farbe über die computerdesigneten Hintergründe gekippt, die vorher so aschfahl daherkamen, daß manch ein Zuschauer sich an die „Aktuelle Kamera“ des DDR-Fernsehens erinnert fühlte.

Die ZuschauerInnen haben sich jedenfalls noch nicht so recht an den Nachrichtenneuling gewöhnt. Mit den miserablen Quoten, die veröffentlicht wurden (Focus: „Sender ohne Zuschauer“), will man sich im Haus in der berliner Taubenstraße die Stimmung nicht vermiesen lassen. Den offiziellen Zahlen der GfK traut man immer noch nicht, obwohl selbst die abends inzwischen „starke Werte“ (Sick) für n-tv ermittelt haben sollen. Die Verantworlichen beruhigen ZweiflerInnen zum Beispiel mit einer Umfrage, wonach fast neun Prozent der leitenden Zeitungsjournalisten angeblich nicht „Tagesschau“ oder „heute“, sondern die n-tv-Abendsendung „Der Tag“ sehen sollen.

Dank der geringen Kosten braucht der Sender ohnehin kein Millionenpublikum. Die MitarbeiterInnen bei n-tv sind sich sicher, daß genügend Menschen das Konzept schätzen werden, das Staisch einmal „Nachrichten im Viervierteltakt“ genannt hat. „Wenn sich das Programm wiederholt, wissen die Leute, daß sich nichts Neues ereignet hat und schalten in zwei Stunden wieder ein“, hofft Marianne Beland. Nur die Macher selbst müssen die Staisch'sche Warnung, nicht zulange vor dem Programm zu sitzen, in den Wind schlagen. „Die Leute, die hier arbeiten“, sagt Beland, „sind alle Nachrichtenverrückte.“ Stefan Niggemeier

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