: Fehldiagnose
■ Betrüger prellte Mieter, weil er vor seinem Tod "noch einmal auf den Putz hauen" wollte
, weil er vor seinem Tod „noch einmal auf den Putz hauen“ wollte
In Zeiten der Wohnungsnot florieren die Geschäfte der Wohnungsbetrüger. Sie treten als Eigentümer auf und vermieten Wohnungen, die ihnen nicht gehören. Dafür kassieren sie Kautionen oder Mietsicherheiten und verschwinden. So auch der jetzt vor dem Hamburger Landgericht angeklagte Kaufmann Heinrich B. In nur drei Monaten hat Heinrich B. letztes Jahr 49 gutgläubige Wohnungssuchende um insgesamt 30 000 Mark geprellt. Das mache 10 000 steuerfreie Mark im Monat, rechnete Richter Schaberg aus.
Wie er dazu gekommen sei, wurde der einschlägig vorbestrafte Angeklagte, der zur Zeit eine Haftstrafe in Frankenthal absitzt, gestern gefragt. „Mein Mandant wollte mit seinem Tod vor Augen noch einmal auf den Putz hauen“, antwortete statt seiner Pflichtverteidiger Hörner. Die Geschichte des Heinrich B. ist tragisch: In Haft erfuhr er von seinem unheilbaren Lungenkrebs. Wegen der Krankheit wurde er vorzeitig aus dem Gefängnis entlassen. Eine geplante Umschulung sollte erst Monate später beginnen. Er war arbeitslos, eine Rente wegen Erwerbsunfähigkeit wurde abgelehnt. Dennoch sperrte das Arbeitsamt schließlich seine Arbeitslosenhilfe. Begründung: Er stehe dem Arbeitsmarkt nicht mehr zur Verfügung. Seine Ehefrau stellte einen zweiten Scheidungsantrag, nachdem sie zuvor auf die Rente ihres Mannes im Falle seines Ablebens spekuliert hatte und die schon ausgesprochene Scheidung rückgängig machte.
Nach diesen Schlägen plante Heinrich B. seine Betrügereien. „Eine Kurzschlußreaktion“, meint er heute. Er antwortete auf Annoncen und inserierte auch selber. Mißtrauisch wurde keiner der Wohnungssuchenden. „Ich wollte mich dann spätestens im Dezember töten.“ Doch dazu kam es nicht mehr, im Oktober 1992 wurde Heinrich B. festgenommen. Zwei Monate später erfuhr er, daß sein Krebsleiden lediglich eine Fehldiagnose war.
„Ich will Sie nicht von vornherein als Lügner hinstellen“, sagte Richter Schaberg, „aber an eine Kurzschlußreaktion zu glauben, fällt mir angesichts Ihrer Vorstrafen schwer.“ Obwohl er nicht daran zweifle, daß die Krebsdiagnose für Heinrich B. eine große Belastung war. Das Urteil wird für Anfang Mai erwartet. Torsten Schubert
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