Von Dramaturgen und Nachtvögeln

Sprung ins Kulturgeschäft: Philipp Engelmanns „Nachtleben“ wurde in Tübingen uraufgeführt  ■ Von Jürgen Berger

In der notdürftig ausgebauten Fabriketage gibt's alles, was die Kulturszene abseits der subventionierten Hallen zu bieten hat. Olaf Lippitz zum Beispiel, ein Autor in anarchistischer Pose und mit einer Justine à la Sade im Kopf, die er lediglich noch aufs Papier bringen müßte. Und Karin, die junge Sängerin als zweite Nina Hagen, natürlich aber ganz anders und auf jeden Fall besser. Alle sind sie auf dem Sprung ins Showbizz, bis es soweit ist, geben sie sich noch radikal. Lippitz schreibt Songtexte für Karin, sein Anarchopunk allerdings wirkt reichlich hirnlastig und gewollt fäkal, als habe der geschäftstüchtige Postpunker immer auch schon gelangweilte Yuppies als Zielgruppe im Auge. Eigentlich ist er ein Theoretiker des Ausstiegs, der Karin und sich selbst (Jeff Koons läßt grüßen) als Gesamtkunstwerk inszenieren will. Dabei greift er aber derart kraftmeierisch ins Wortmaterial, daß man sich des Eindrucks nicht erwehren kann, Philipp Engelmann habe nebenbei auch den Schreibkollegen Werner Schwab karikieren wollen.

Würde man für bare Münze nehmen, was da teilweise gesprochen wird, müßte man sich fragen, ob Engelmann nach seinem auf zwei Personen konzentrierten und wesentlich sublimeren „Oktoberföhn“ (mit dem er letztes Jahr auf sich aufmerksam machte) denn nicht doch zu dick aufgetragen hat. Aber er führt, und das ist die Stärke seines jüngsten Stückes, die Kulturaussteiger als Kitschproduzenten vor, die genau in jenen Gefilden landen, von denen sie sich eigentlich absetzen wollen und in denen sich die hochdotierten Kollegen zielsicher bewegen.

Einer von ihnen ist der Stadttheater-Dramaturg Ludwig (Georg Scharregg). Wenn er die Pfütze in der Fabriketage umtänzelt, sieht man nicht nur ein dekonstruktiv geübtes Bübchen, sondern auch die andere Seite der Lippitz-Medaille. So würde auch der Pseudoanarchist tänzeln, bekäme er dafür 4.000 netto überwiesen. Auch ihn würde es nach dem harten Arbeitstag in eine der Fabriketagen ziehen, um dort über das zu Tode subventionierte Stadttheater zu schwadronieren. Am nächsten Morgen aber würde er wieder brav und mit schwerem Kopf als Kunstverhinderer zur Probebühne schleichen. Jetzt meint er allerdings noch zu wissen, wie man reiche Sponsoren aufreißt. Wenn er Baudelaire zitiert, verwandelt Ralf Beckord sich in einen schwarzen Nachtvogel, und Maya Speth, die die kontenschwangere Mathilde Herzwang spielt, schaut entzückt. Beckord ist in dieser Szene ein Lippitz, der den Düsteren spielt und dabei zu wissen scheint, daß seine Attitüde nichts als Schein ist.

Diese Einsicht allerdings ist Alexander Seers Uraufführung von „Nachtleben“ nicht immer gegönnt, vor allem nicht in jenen Passagen, in denen Engelmann seinem Stück zu viel auflud und zwischen die Verrenkungen um den Einstieg ins Kulturgeschäft einen eher verunglückten Rauschgift- Krimi und familiäre Abgründe zwängte. Daß sich Stückschwächen häufig in die Uraufführung fortpflanzen (auf die zweite Inszenierung wartet man dann häufig vergeblich), zeigt sich auch in diesem Fall, wenn Seer die Mathilde Herzwang eher hinstellt als inszeniert. Am Ende entpuppt sie sich als abgefeimte Intrigantin, paßt aber anders als ihr Dramaturgen- Ludwig nicht so recht ins Stückgefüge.

Das wirkt, als habe Engelmann eine kleine Figurenskizze entworfen und sie dann grob eingepaßt, während eine andere Frau durchaus in die Story eingewoben ist. Sie heißt Michaela, ist Karins Mutter und beladen mit all der Last einer Frau in mittleren Jahren, die im Filmgeschäft nach oben will, sich durch ihre neurotische Mutterliebe aber nach unten ziehen läßt. Daß Olaf Lipitz zudem ihr Ex- Lover ist und sie jetzt mit ansehen muß, wie er mit ihrer Tochter vor versammelter Mannschaft Sado- Maso Spiele inszeniert, würde ja gerade noch angehen, hätte Alexander Seer nur nicht übersehen, daß ihm die Mutter zur Leerstelle geriet.

Ganz anders sieht es mit Karin aus. Christine Sommer spielt eine Tochter, die punkig schräg daherkommt und tatsächlich auf der Suche ist, die zwar die Spiele im Kulturbetrieb mitspielt, dabei aber weiß, was sie will. Immer wieder gibt es kurze Momente, in denen sie erschrickt, vor allem wenn es darum geht, daß sie den Nachtvogel Lippitz tatsächlich liebt – und wenn sie zu jener Härte finden will, die nötig ist, wenn die erste Liebe ausgeträumt ist und der Kampf um den Einstieg ins Kulturgeschäft tatsächlich beginnt.

Philipp Engelmann: „Nachtleben“. Inszenierung: Alexander Seer. Bühne und Kostüme: Herbert Neubecker. Mit Ralf Beckord, Christine Sommer, Georg Scharegg, Christian Lugerth, Klaus Cofalka-Adami. Werkstatt des Landestheaters Tübingen. Weitere Vorstellungen: 28.4., 15., 20., 21. und 22.5.