piwik no script img

Änderung der Vergangenheit

■ Toni Morrison stellt im Literaturhaus heute ihren neuen Roman Jazz vor

stellt im Literaturhaus heute ihren neuen Roman Jazz vor

Unter den farbigen Autoren der USA ist Tony Morrison diejenige, die sich auf die avancierten Techniken der weißen Literatur am meisten eingelassen hat. Das verführt dazu, sie umstandslos in die Erzähler-Tradition Amerikas einzugemeinden. Newsweek stellte sie etwa in eine Reihe mit Poe, Melville, Faulkner, um ihre literarische Gewichtsklasse zu bestimmen. Toni Morrison selbst hat allerdings immer darauf bestanden, als schwarze Schriftstellerin gelesen zu werden. Sie hat keineswegs einen allein literarischen Ehrgeiz.

Ihre Bücher schreiben die afroamerikanische Geschichte von innen her neu. Differenzieren aus, was lange Zeit nur in Form von Klischees überliefert wurde. Besetzen Räume, in denen die Frage nach der Hautfarbe bislang nicht vorgesehen war. Menschenkind, 1988 mit dem Pulitzerpreis ausgezeichnet, schildert die Schrecken der Sklaverei. Der in diesem Frühjahr herausgekommene Roman Jazz wendet sich dem Harlem der 20er Jahre zu.

Harlem, wie Morisson es beschreibt, leuchtete in dieser Zeit. Viele Schwarze haben die Südstaaten verlassen und sind in die Stadt gezogen. Der Jazz hat mit seinen Anzüglichkeiten, seiner Lebensfreude den Blues als bestimmende Ausdrucksform des schwarzen Lebensgefühls abgelöst. Ein urbanes Selbstbewußtsein entwickelt sich unter denjenigen, die in ihrer Jugend oft noch auf den Baumwollfeldern schufteten.

Aber das alles ist noch fragil. Und der Rassismus ist stets gegenwärtig. So gegenwärtig, daß Morrison ihn nicht eigens ins Zentrum zu stellen braucht. Er ist da, in den Erinnerungen, den alltäglichen Erfahrungen, dem Verhalten ihrer Figuren.

Ihre Identität als schwarze Autorin sucht Morrison nicht in einer direkten Konfrontation mit dem weißen Amerika. Sie setzt auf die Herausbildung eines schwarzen Geschichtsbewußtseins. „Ich weiß, daß ich nicht die Zukunft ändern kann, aber ich kann die Vergangenheit ändern“, so hat sie ihr Credo formuliert. Durch literarische Neukonstruktion des Vergangenen möchte sie in die Gegenwart eingreifen. Jazz gibt dabei nicht einfach vor, eine Geschichte aus der Vergangenheit zu sein. Vielmehr wird die Tätigkeit des Erinnerns zum treibenden Element des Buches. Und die furios rhythmisierte Sprache nähert sich der Form der mündlichen Überlieferung an, auf die Farbige jahrhundertelang angewiesen waren.

In den USA ist Morrisons Rang unumstritten. In Deutschland kam sie bislang über den Status eines Geheimtips kaum hinaus. Ihre formal anspruchsvollen Romane sind über jenen Exotikbonus erhaben, den deutsche Leser wohl brauchen, um sich Geschichten aus fremden Kulturen anzunehmen. Es sollte noch gesagt werden, daß ihre Subtilität Morrison nicht daran hindert, in Interviews durchaus Klartext zu sprechen: „Die Schwarzen wurden in den USA immer benutzt, um den Klassenkampf und andere gesellschaftliche Flächenbrände zu verhindern.“ Dirk Knipphals

Literaturhaus, 20 Uhr

40.000 mal Danke!

40.000 Menschen beteiligen sich bei taz zahl ich – weil unabhängiger, kritischer Journalismus in diesen Zeiten gebraucht wird. Weil es die taz braucht. Dafür möchten wir uns herzlich bedanken! Ihre Solidarität sorgt dafür, dass taz.de für alle frei zugänglich bleibt. Denn wir verstehen Journalismus nicht nur als Ware, sondern als öffentliches Gut. Was uns besonders macht? Sie, unsere Leser*innen. Sie wissen: Zahlen muss niemand, aber guter Journalismus hat seinen Preis. Und immer mehr machen mit und entscheiden sich für eine freiwillige Unterstützung der taz! Dieser Schub trägt uns gemeinsam in die Zukunft. Wir suchen auch weiterhin Unterstützung: suchen wir auch weiterhin Ihre Unterstützung. Setzen auch Sie jetzt ein Zeichen für kritischen Journalismus – schon mit 5 Euro im Monat! Jetzt unterstützen