: „Eine Art Lebensmittel“
■ „Bilder — die nicht vergessen lassen“ im DGB-Haus, Kunst aus dem Vernichtungslager
„Leben verboten — Proibito vivere“. Die nüchterne Überschrift, die Agosto Barbieri seinen Zeichnungen aus dem Vernichtungslager in Mauthausen gab, ist bezeichnend für seine Sicht des Leidens. Die Bilder aus dem KZ wirken wie Seismogramme, in denen seine Gefühle in feinen, zittrigen, nervösen Linien protokolliert sind. An einem eher nüchtern anmutenden Ort werden sie jetzt in Bremen gezeigt: im Verwaltungsbau des DGB am Hauptbahnhof sind die Zeichnungen von fünf italienischen Künstlern ausgestelt, die das Vernichtungslager überlebten, und mit ihnen ihre Bilder.
Agostino Barbieri war einer von etwa 40.000 Italienern, die von den deutschen Faschisten in den letzten beiden Kriegsjahren verschleppt wurden: Antifaschisten, Juden, Partisanen. 3.000 kehrten nach Italien zurück. Viele von ihnen fanden sich in der ANED zusammen, einer Organisation ehemaliger KZ-Häftlinge, die nun auch die Wanderausstellung nach Bremen brachte.
Was nun in einem schmucklosen Korridor beim DBG Kreis Bremen hängt, säuberlich reproduziert und gerahmt, ist unter ständiger Lebensgefahr für die Künstler entstanden. Mit Kohle und Bleistift auf Karton skizzierten sie die täglichen Leidensgeschichten. Die Folterungen, die Hinrichtungen, die Verbrennungen — Barbieris Leidensgenosse Carlo Slama zeichnet sie mit unglaublicher Genauigkeit auf, gleichmäßig wie ein Bauzeichner.
Slamas Bilder wirken seltsam abgeklärt. Keine Gesten des Schmerzes, kein Ausdruck der Verzweiflung. Gesichtslos die Mörder wie die Opfer. Aber jeder der fünf Künstler findet eine andere Bildsprache für das Undarstellbare. Wo Slama das Bild der zur Anonymität verurteilten Menschen nachzeichnet, beschränkt sich Aldo Carpi ganz auf das persönliche Porträt: Gesichter der Mitgefangenen, ausgezehrt, zerfurcht, aber noch müde lächelnd. Vielleicht waren diese heimlichen Porträts ein Weg für Carpi, die Individualität des Menschen gegen die Ideologie der NS-Faschisten zu behaupten.
Die flüchtigen Notizen stellten für die italienischen Künstler „eine Art Lebensmittel dar“, sagt Manfred Weule vom DGB. Als Mitarbeiter der Kunsthochschule in Salzgitter hatte er die Ausstellung 1987, gemeinsam mit der ANED, auf den Weg gebracht. Über die ist er mit der Geschichte der künstlerischen Blätter aus den Vernichtungslagern gut vertraut. Die Zeichnungen seien teils rausgeschmuggelt worden, teils nach der Befreiung erst entdeckt, hinter Holzverschlägen, unter den Fußböden versteckt. Der DGB holte die Bilder jetzt nach Bremen, um sie vor dem Hintergrund der Gedenkveranstaltungen zum Aufstand im Warschauer Getto von 1943 zu dokumentieren — auch als eine Form des inneren Widerstandes. Thomas Wolff
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