Mit mühsamer Hand

Die Geschichte ist bekanntermaßen eine klassische, die Besetzung am Deutschen Theater gewohntermaßen herausragend: Und doch ist Jürgen Goschs Kleist-Inszenierung „Amphitryon“ bestenfalls befremdlich  ■ Von Petra Kohse

Wenn sich der Vorhang hebt, wird einem gleich ganz antikisch zumute: Zwischen wuchtigen Säulen und einem eleganten Hauseingang ist nur ein kleiner Platz mit einem Felsen als Spielfläche freigelassen. Hinten wird er von einer Wand begrenzt, auf die eine perspektivisch sich verjüngende thebanische Prachtstraße aufgemalt ist. Doch ach (um das berühmte Schlußwort von Kleists „Amphitryon“ schon an dieser Stelle zu zitieren), doch ach: Ein bösartiger Riß geht durch diese Idylle von Donald Becker. Am Ende bricht das griechisierende Mauerwerk dann auch zusammen und gibt den Blick frei auf einen Pappmaché- Olymp, auf dem ein hellenischer Krieger und zwei Frauen mit silbernen Gesichtern aufs vorteilhafteste posieren. Dann schreitet Jupiter, der Donnergott, von eilends herabgelassenen Pappwolken bekränzt, hehren Schrittes hinan, etwas ermüdet vielleicht von den Verwirrungen, die er auf Erden gestiftet hat. Befriedigt aber sicher ob des gelungenen Streiches, den er Amphitryon und seiner Gattin Alkmene gespielt hat, und bestimmt auch ein wenig traurig, da er die irdischen Fleischesfreuden nun wieder den Sterblichen überlassen muß.

Die Geschichte ist bekannt: Jupiter erscheint nächtens in Gestalt Amphitryons bei Alkmene, beglückt diese erotisch und löst eine handfeste Ehekrise aus, da Amphitryon, der tags darauf nach Monaten aus der Schlacht nach Hause kommt, seine Frau von der angeblich gemeinsam verbrachten Nacht schwärmen hören muß. Schein und Sein vermischen sich fast unentwirrbar, bis der Gott aus dem logischen Labyrinth wieder herausführt und seine olympische Identität offenbart.

Der alte und beliebte Komödienstoff entzückte hier in Berlin zuletzt in Klaus Michael Grübers Regie, jetzt machte sich Jürgen Gosch mit mühsamer Hand daran. Die Besetzung allerdings ist erstklassig und rühmenswert treffsicher. Ignaz Kirchner als Amphitryons Diener Sosias spielt auf seine bewährte, gekrümmte und tänzelnde Weise einen kleinen Nebbich, der sich stets geschickt nach der Decke streckt. Margit Bendokat als seine Frau kann nach Herzenslust keifen und beleidigt gucken – selten kamen ihre Talente so förderlich zum Einsatz wie hier. Alkmene, die Ehebrecherin wider Willen, wird von Dagmar Manzel mit komisch ernstgmeinter Innigkeit unter blonder Perücke souverän verkörpert.

Und schließlich Jupiter und Amphitryon. Götz Schubert und Daniel Morgenroth. Der eine auch in der Leidenschaft beherrscht, mit akkurat abgezirkelter Gestik, strahlenden Auges und leicht knarrender Stimme ganz der göttliche Freier, dessen Lichtgestalt nur manchmal durch ein jungenhaftes Lächeln plötzlich sehr irdisch wird. Der andere mit Pathos in der Brust und Schweiß im Angesicht, umgetrieben von verletzter Ehre und gläubiger Liebe, der den Verwirrnissen hilflos mit dem Schwert begegnen will. Morgenroth spielt das überzeugend bodenständig und ein klein bißchen tumb, mit leicht hängenden Schultern in seinem güldenem Brustpanzer und stürmisch blickenden Augen unter seiner lächerlichen Jungsiegfriedperücke. Das Los dieser entstellenden Maskerade teilt er natürlich mit Schuberts Jupiter. Beiden wurde überdies noch ein blondes Gamsbärtchen ans Kinn geheftet. Auch Sosias und sein göttlicher Doppelgänger Merkur (Thomas Neumann, der seinen fieslichen Zuhälterton leider etwas zu sehr strapaziert) erstaunen beide durch eine Maske, die durch die markante Nase und den Schnurrbart irgendwie an den Hausherrn Thomas Langhoff erinnert.

Aber es lag nicht an den Sandalenkostümen, daß mit dieser Aufführung trotz ihrer hervorragenden Darsteller irgend etwas nicht stimmte. Der brillante Text erschien plötzlich zäh, sanft hörte man selbst in den eigentlich komischsten Szenen das Papier rascheln, sachte klapperten die Kothurne. Kein Regiefehler läßt sich festmachen – sieht man vom unsäglichen Chor der Thebaner am Ende und dem Kulissendonner ab – und doch war's bleiern und mühselig zuweilen. Wollte sich Gosch vom Text distanzieren? Aber wozu? Meinte er diesen hölzernen Griechenkitsch ernst, in den er Kleists Lustspiel verpackte? Man muß es – befremdet – vermuten.

Heinrich von Kleist: „Amphitryon“. Regie: Jürgen Gosch; Bühne: Donald Becker, mit: Dagmar Manzel, Daniel Morgenroth, Margit Bendokat, Ignaz Kirchner u.a. Nächste Aufführung: 29. Juni