: Feine City applaudiert einem Suizidversuch
■ Afrikaner springt am Ku'damm von Vordach / Menge feuert ihn mit rassistischen Rufen an: „Geh doch in den Dschungel“
Gestern vormittag in feinster City-Lage: Ein 35jähriger Somalier steht auf dem Vordach eines Bürohauses. Unten sammeln sich zahlreiche Schaulustige: „Spring doch“ – „Geh doch zurück in den Dschungel“, gröhlen sie zu dem Schwarzen hinauf. Der stürzt sich Minuten später kopfüber vom ersten Stock in die Tiefe. In dem Moment, als sein Körper unten auf dem Pflaster aufschlägt, klatscht die gaffende Meute brausenden Applaus.
Diesen makabren Vorfall schilderte gestern der 19jährige Karl S. der taz. Der Schüler war am Kurfürstendamm Ecke Clausewitzstraße Augenzeuge des Geschehens geworden, das sich in der Zeit zwischen 10 und 10.30 Uhr abgespielt hatte. Was Karl S. nicht wußte, weil er beim Applaus der Menge eigenen Angaben zufolge laut schreiend davongerannt war: Der Somalier hatte den fünf Meter tiefen Sturz wie ein Wunder ohne gefährliche Verletzungen überlebt. Lediglich ein Bein hat der 35jährige sich gebrochen, der sich nun zur stationären Behandlung in einem Krankenhaus aufhält.
Von der Polizeipressestelle war gestern lediglich zu erfahren, der „alkoholisierte“ Somalier Adib S. sei „nach einem Streit mit seiner Ehefrau“ auf das Vordach des Bürohauses geklettert. Über seinen Aufenthaltsstatus, Finanzlage und Wohnort waren keine Angaben zu erhalten. Zu dem Vorfall hieß es, Polizeibeamte hätten Adib S. vergeblich vom Sprung abzuhalten versucht. Auch von einem von der Feuerwehr ausgebreiteten Sprungtuch war die Rede, das der Somalier jedoch „verfehlt“ habe.
Wie der Schüler Karl S. der taz berichtete, hatte der Afrikaner eine geraume Zeit auf dem Dach gestanden und laut darüber geklagt, sich „seelisch kaputt“ zu fühlen. Des weiteren habe er erzählt, daß er „kein Geld“ und „keinen Paß“ habe. Die rund 100 Schaulustigen hätten ihn mit den Rufen wie „Spring doch“ oder „Geh doch zurück in den Dschungel“ ganz offensichtlich zu provozieren versucht. Lediglich ein am Rande stehender Mann habe protestiert: „Das ist ja widerwärtig.“ Die Mehrzahl der nach dem Sturz laut applaudierenden Schaulustigen seien „teuer gekleidet“ gewesen. „In der feinen Gegend“, so der Schüler, „verkehrt das gehobene Bürgertum.“ Besonders aufgefallen sei ihm ein Mann in einem schicken Anzug. Dessen einzige Sorge sei gewesen: „Wenn der runterspringt, müssen wir für den auch noch das Krankenhaus von unseren Steuergeldern bezahlen.“
Auch am Verhalten der Polizei vor Ort übte der Schüler Karl S. heftige Kritik. Statt „zunächst erst einmal psychologisch“ auf den Afrikaner einzuwirken – „es bestand überhaupt kein Zeitdruck“ – seien gleich vier behelmte Beamte in Kampfanzügen und mit Schilden auf das Dach geschickt worden. Plutonia Plarre
40.000 mal Danke!
40.000 Menschen beteiligen sich bei taz zahl ich – weil unabhängiger, kritischer Journalismus in diesen Zeiten gebraucht wird. Weil es die taz braucht. Dafür möchten wir uns herzlich bedanken! Ihre Solidarität sorgt dafür, dass taz.de für alle frei zugänglich bleibt. Denn wir verstehen Journalismus nicht nur als Ware, sondern als öffentliches Gut. Was uns besonders macht? Sie, unsere Leser*innen. Sie wissen: Zahlen muss niemand, aber guter Journalismus hat seinen Preis. Und immer mehr machen mit und entscheiden sich für eine freiwillige Unterstützung der taz! Dieser Schub trägt uns gemeinsam in die Zukunft. Wir suchen auch weiterhin Unterstützung: suchen wir auch weiterhin Ihre Unterstützung. Setzen auch Sie jetzt ein Zeichen für kritischen Journalismus – schon mit 5 Euro im Monat! Jetzt unterstützen