■ Scharping beendet die Kandidatendebatte
: Machtanspruch en passant

Was sich seit Rudolf Scharpings Erfolg bei der Mitgliederbefragung abzeichnete, seit gestern steht es fest: Der designierte Vorsitzende hält nichts von Ämterteilung, schon gar nicht mit einem wie Lafontaine, der den hölzernen Mainzer, was öffentliche Wirkung betrifft, noch allemal in den Schatten gestellt hätte. Kein Konkurrenzrisiko, Scharping will offensichtlich gleich von Anfang an alle Restzweifel beseitigen, wer künftig bei den Sozialdemokraten das Sagen hat. Daß Scharping beide Ämter will, daß er, nach dem führungsschwachen, zögerlichen Engholm gleich mit seinen ersten Entscheidungen Führungsstärke und Entschlossenheit zu signalisieren versucht, ist nicht das eigentlich Überraschende; interessant an seinem fulminanten Einstieg ist vielmehr, daß er mit konsens- und integrationsbetontem Gestus genau das durchsetzt, was seinem Konkurrenten Schröder noch vor wenigen Tagen als Ausdruck unbändigen Machtwillens übel genommen wurde. Nicht zuletzt weil allzu machtbetontes Gehabe den Sozialdemokraten noch immer eher unheimlich ist, hatte Schröder keine Chance. Scharping hingegen gelingt die Durchsetzung des innerparteilichen Machtanspruches en passant. Er hat mit der Unklarheit gespielt, jetzt hat er entschieden: Ende der Kandidatendiskussion.

Für Oskar Lafontaine ist das keine Katastrophe. Daß er, nach der Spiegel-Kampagne bereits für politisch tot erklärt, schon wieder als ernsthafter Konkurrent in die Debatte kam, darf als deutlicher Nachweis seines politischen Gewichtes verstanden werden. Daß jedoch der Anspruch des Saarländers vom neuen Vorsitzenden mühelos beiseite gewischt werden konnte, darin zeigt sich erneut die Hoffnung der Partei, ihre umfassende Krise als Personalproblem bewältigen zu können. Wie Björn Engholm am Ende als zentrale Ursache des jammervollen Zustandes der Partei erschien, so darf jetzt Scharping alleine den Garant des Neubeginns mimen. Dies trifft auf die irrationale Sehnsucht der Partei nach Führung. Risikominimierung wird, trotz des zurückliegenden Desasters mit Engholm, bei den Sozialdemokraten weiter kleingeschrieben.

Kein Zweifel, daß der SPD mit Scharping in der Doppelfunktion kein Reinfall a la Engholm droht. Zu clever, entschlossen und autoritär präsentiert er sich bereits bei seinem Machtantritt. Doch daß er auch in der Lage sein wird, der SPD die Debatten aufzuzwingen, die sie führen muß, um aus der inhaltlichen Desorientierung herauszukommen, dafür gibt es derzeit noch keine Hinweise. Daß die SPD unbändig darauf zu vertrauen scheint, ist selbst noch eher Zeichen der Krise als des Neubeginns. Matthias Geis