„Auch mein Leben ist vorbei“

Im Mordprozeß um das Attentat von Mölln sagte gestern der Witwer der getöteten Bahide Arslan aus / Erschütternde Szenen im Gerichtssaal / Angeklagter Peters bleibt ungerührt  ■ Aus Schleswig Kersten Kampe

Es war der Tag der Angehörigen der Möllner Mordopfer vor dem Oberlandesgericht in Schleswig. „Eigentlich ist auch mein Leben vorbei.“ Das sind Worte aus der Erklärung von Nazim Arslan, die sein Anwalt Burkhard Peters nach der Aussage des 61jährigen verliest. Nazim Arslan hat im November vergangenen Jahres in der Brandnacht von Mölln seine 51 Jahre alte Frau Bahide und die Enkelinnen Yeliz (10) und Ayse (14) verloren.

„Ich kann immer noch nicht fassen, was in der Nacht zum 23. November mit meiner Familie geschehen ist. Die Familie ist überhaupt nicht mehr, was sie einmal war. Das Grauen und der Schrecken sind noch immerzu da.“ Am Anfang noch um Sachlichkeit bemüht, liest der Anwalt des Witwers die persönliche Erklärung, die Nazim Arslan gemeinsam mit einem Freund vorbereitet hatte. Zunehmend erschüttert ihn der Inhalt des Textes. Auch die Zuschauer sind ergriffen, einige weinen.

Der Angeklagte Michael Peters dagegen verfolgt die Erklärung äußerlich unberührt. Dem zweiten mutmaßlichen Täter Lars Christiansen ist dagegen die Erschütterung anzumerken. Nach der Erklärung unterhält sich Christiansen lange mit seinem Anwalt.

Nazim Arslan, beschreibt in der Erklärung Bahide als Mittelpunkt der Familie – seines Lebens. „Sie war für alle in der Familie immer da, bei ihr lief alles zusammen. Wer Schwierigkeiten hatte, mußte zu Bahide gehen.“ Und er schildert, wie er in der Türkei viele Wochen schwer krank war, die Familie arm, seine Frau arbeiten ging, für alles sorgte. „Manchmal hat sie mich sogar auf dem Rücken ins Krankenhaus getragen.“ Als es ihm wieder besser ging, wurden Frauen gesucht, die in Deutschland arbeiten sollten. Bahide Arslan fuhr ohne ihre Familie vor 26 Jahren nach Deutschland. „Sie hat ganz hart gearbeitet und soviel Geld geschickt, daß die Kinder und ich nachkommen konnten.“

Während seine Erinnerungen an seine Frau vorgetragen werden, verläßt Nazim Arslan den Saal unter Tränen. Der Dolmetscher erklärt für ihn, er halte es nicht mehr aus.

Die Stille im Saal wird immer bedrückender, als der Anwalt vorliest, wie Nazim Arslan die Brandnacht schildert. In seiner Zeugenaussage hatte er vorher schon beschrieben, daß er beim Abendgebet von einem Klingeln an der Haustür gestört worden war. Als er zur Tür ging, seien ihm Rauch und Flammen entgegengeschlagen. In seiner Erklärung zeichnet er die Mordnacht aus der Sicht seiner Frau nach, wie sie den kleinen Ibrahim in ein Tuch wickelt und in die Küche bringt und wie sie dabei ums Leben kommt, als sie auch noch versucht, die beiden Mädchen Ayse und Yeliz zu retten. „Jedesmal wenn ich in die Mühlenstraße gehe, denke ich an diese grausame Nacht. Wie der beißende Rauch in unser Schlafzimmer drang und uns die Flammen entgegenschlugen. Ich sehe immer wieder das Bild, wie meine Frau in Rauch und Feuer verschwindet.“

Immer noch geht der Witwer regelmäßig zum Haus in der Mühlenstraße. Lange Zeit hat er Sachen von seiner Frau gefunden und mitgenommen – „auch wenn sie verkohlt und schmutzig waren. Es war doch das einzige, was mir geblieben war – von ihr – von unserem Leben. Das ist jetzt alles vorbei – eigentlich ist auch mein Leben vorbei – ich habe doch nichts mehr, wofür ich lebe.“

„Manchmal kommt mir alles vor wie ein böser Traum. Ich fasse im Bett neben mich und denke, dort liegt meine Frau, oder schrecke hoch und rufe ihren Namen.“ Völlig unverständlich sei es für ihn, warum seine Frau und die beiden Mädchen sterben mußten. „Weil sie Türkinnen waren? Weil diese Männer unmenschliche politische Ideen ausführen wollten?“ fragt er in seiner Erklärung. „Man hat uns doch hergebeten. Wir kamen als Gastarbeiter. Wir waren Gäste hier. Wissen Sie, was Gastfreundschaft in der Türkei bedeutet? Meine Frau und die Kinder haben doch nichts gegen Deutschland getan.“ Im deutschen Mölln seien harmlose Kinder eines Nachts verbrannt – statt schöner Träume haben sie einen Alptraum erlebt und sind jetzt tot. So ein bösartiges Verbrechen kann ich nicht verstehen.“

Das Gericht hat vier weitere Überlebende und Angehörige der Opfer als Zeugen geladen.