Exotikpark und Wohnzimmer

■ Premiere auf Kampnagel: Theater-Video-Schauspiel „Wildpark“ von Eva-Maria Martin und Manfred Studer

Zwischen zwei Wohninseln, einer Garderobe, Glasschaukasten, Museumsstücken und Videomonitoren gelangt das Publ kum zu den Sitzplätzen. Den Fundus“ nennt Regisseurin Eva-Maria Martin diesen von Jacqueline Schimmel und Ina Seifert wunderschön-chaotisch inszenierten Raum, der die erste Frage in dem Theater-Video-Schauspiel Wildpark stellt, die Frage nach dem Schauplatz: Das eigentliche Geschehen, findet manchmal auf imaginären Bühnen links und rechts des „Fundus“ statt, wird teilweise per Video wieder eingefangen. Wir sehen nur einen Ausschnitt: Ein Kaleidoskop von Bruchstücken des Alltags, mit denen die Martin sich den Themen „Wildnis“ und „Fremde“ nähert.

Die Schwestern Sophie und Paula bewohnen eine der beiden „Inseln“ und sind sich trotz aller Nähe fremd: Heimlich löscht Paula (Petra Bogdahn) die Nachrichten auf Sophies Anrufbeantworter, verschweigt der Schwester die Stellenangebote. Sophie (Maria von Bismarck), die Übersetzerin, holt sich per Video das Meer ins Wohnzimmer, Formen der Aneignung von Fremde. Manfred Studer, der Wildpark mit Eva Maria Martin gemeinsam erarbeitet hat, meldet sich als Sophies Gatte Eric mit Videos aus den Hotels ferner Länder. In den stets ähnlichen Zimmern haben sich kulturelle Unterschiede längst aufgehoben.

Im Glaskasten lebt der schizophrene Fritz, der komische Dinge verkauft, die Ordnung materialistischer Werte ad absurdum führt. Eindrucksvoll spaltet Matthias Breitenbach den Jungen in Fritz und Mutter. Als die beschimpft er sich immer wieder: „Du bist nicht zur Hochzeit eingeladen“. Die doppeldeutsche Eheschließung läßt Randfiguren wie ihn außen vor. Fritz weiß das: „Eine neue Vereinigung wollen wir nicht.“ Kolja und Andre, Versicherungsmakler aus Ost und West, sind erst durch die Vereinigung zusammengekommen. In einer fremden Wohnung warten sie auf Koljas Mutter, wie Becketts Estragon und Vladimir auf Godot, tragen die Frage von Gast und Gastgeber aus.

Neben einigen Technikern gibt es schließlich die „Exotin“ und den „Exoten“: Ein Farbiger und eine Deutsche geben in einem Touristikpark Folkloristisches, gaukeln als Spanier, Indianer oder „Afros“ Ursprünglichkeit vor.

Eva Maria Martin verdichtet diese thematische Fülle in einem vielschichtigen, intelligenten, oft sehr komischen Abend. Ihre Figuren haben, auch dank der hervorragenden Schauspieler, die nötige Eigenheit und Schärfe, damit das Kaleidoskop und die Gleichzeitigkeit auf der Bühne nicht zu einem Wirrwar verschwimmen.

Niels Grevsen

K1, 25., 26., 27., 29. + 30.6., 21 h