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Siechtum en passant

Zeitgenössische Kunst: Endgültig ohne Koffer in Berlin. Zur Schließung der Kunsthalle  ■ Von Ulf Erdmann Ziegler

Der Zeitpunkt, um es laut zu sagen, ist gut gewählt. Niemand nimmt es wahr. Daß die Staatlichen Bühnen schließen, ja, das ist Raubbau an etwas Verbürgtem. Aber daß die Staatliche Kunsthalle in der Budapester Straße abgewickelt wird – war das nicht ohnehin so vorgesehen?

War es nicht. Sonst hätte Ulrich Roloff-Momin ja leichtes Spiel gehabt gegen den hartnäckigen Direktor der Kunsthalle, Dieter Ruckhaberle. Die Kunsthalle, hätte er bei seinem Amtsantritt vor zweieinhalb Jahren sagen können (und sollen), hat sich überlebt. Sie wird geschlossen. Alternativen werden gesucht und, wenn in bestehenden oder neu zu gründenden Institutionen gefunden, auch finanziert.

Statt dessen begann ein Versetzungskampf. Dieter Ruckhaberle hatte aus der Zeitung erfahren, daß er Leiter eines Künstlerhofs in Buch, im Nordosten Berlins, werden sollte. Und bevor er in zweiter Instanz mit seiner Klage gegen die Versetzung unterlag, trug er dem Gericht vor, daß er als Leiter der Werkstätten in Buch wohl kaum geeignet wäre, wenn er in seiner Dienstzeit in der Westberliner Innenstadt so sehr versagt hätte. Bitter, wie es ist, steckte auch in dieser listigen Selbstverteidigung noch ein Körnchen Wahrheit.

Nun, da die Versetzung ausgezankt ist, wird die Kunsthalle geschlossen. Der Gipfel des Ungeschicks, der Nichtplanung, der Nullideen, wird als naheliegende Lösung verkauft. Da leistet sich die sozialdemochristliche Frontstadt anderthalb Jahrzehnte lang – „wir ham's ja“ – eine riesige, schwer zu bespielende Institution, installiert einen Leiter, den sie beizeiten vergißt abzuberufen, und sagt am Ende lapidar, parteilos gewissermaßen, von dort sei ja nichts mehr zu erwarten gewesen. Dies eine sich selbst einlösende Prophezeiung zu nennen, wäre Schmeichelei. Es hat eher etwas vom Schicksal des Blinden. Irgendwann läuft er irgendwo gegen. Der Kultursenator hat einen schweren Stand. Er hat wenig Gutes zu verkünden, und er ist kein Meister im Verkaufen. Er dient unter einem Bürgermeister, dem man nichts so wenig glaubt, als daß er abends ein Buch lese.

Roloff-Momin ist von vornherein ein Senator für Theater und Oper gewesen, von bildender Kunst, von Film keine Rede. Was die bildende Kunst betrifft, mag das an der Konstruktion der Museumslandschaft liegen: 17 Museen von der Museumsinsel bis Dahlem gehören zum Preußischen Kulturbesitz, einem Konsortium der Länder. Ja, auch Gelder aus Bayern finanzieren die Museen dieser Stadt. Die Stadt Berlin hat da nichts zu sagen, und so sucht sie ihr Prestige in anderen Objekten. Anders als Frankfurt und seit kürzerem, mit erheblichem Prestigegewinn, auch Hamburg, zählten zeitgenössische Kunst, Fotografie, Design und Architektur nicht zu den Bereichen, in denen man gedachte, an die Spitze zu geraten. Oder wenigstens mitzuhalten. So blieb es unbemerkt, daß die gespaltenen Kunstvereine kaum noch Ausstellungen mit überregionaler – meistens nicht einmal regionaler – Strahlkraft entwickelten. Die großen Veranstaltungen der „Zeitgeist GmbH“ im Martin-Gropius-Bau blieben Importe, kulturpolitische aliens, im wesentlichen ohne Wechselwirkung mit der Künstlerszene der Stadt. Und die Neue Nationalgalerie, schwankend zwischen block buster (Picasso) und einem zweifelhaften Engagement in zeitgenössischer Kunst (Marina Abramovic), antwortet auf widersprüchliche Anforderungen, denen sie letztlich nicht entsprechen kann. Ein Museum, das Kunsthalle spielt, verzerrt seine eigenen Maßstäbe.

Auch andere Kräfte in dieser Stadt, wie die Abteilung bildende Kunst in der Berlinischen Galerie oder in der Akademie der Künste, sind für den Mangel an Internationalität, Offenheit, Geschwindigkeit und Neugier nicht direkt verantwortlich zu machen. Sie haben einen jeweils anderen Auftrag.

Die Kunstvereine hätten dies teils leisten können und haben es zu einem kleinen Teil geleistet: der NBK mit der Chillida-Ausstellung, zum Beispiel, oder die NGBK mit „Vollbild“. Aber die Institution, die – wie es in den entsprechenden Schweizer Statuten heißt – „je zeitgenössische Kunst“ hätte zeigen müssen, wäre die Kunsthalle gewesen. Ihr möglicher Einfluß ist der trägen Kunstauffassung ihres zu Unrecht auf Dauer installierten Leiters zum Opfer gefallen.

Dennoch wäre es nicht unmöglich gewesen, mit Hilfe erfahrener Externer ohne Wurzeln im Berliner Sumpf einen Neuanfang zu wagen. Damit wären die Kunstvereine unter Zugzwang geraten und die Nationalgalerie entlastet worden. Daß die Mittel dafür nicht da sind, ist halbwahr. Noch immer spielen drei Opern. Es geht aber um nur eine städtische Kunsthalle. Eine.

Daß eine solche Institution nicht aus einer Kontinuität heraus wachsen würde, sondern quasi implantiert wäre, ist kein gravierendes Problem. Natürlich kann man die Deichtorhallen in Hamburg ein wenig modisch finden, hektisch und pompös. Aber erhöhter Blutdruck ist besser als das Siechtum, mit dem Berlin sich nun, ohne daß es noch ernsthaft jemanden scherte, abgefunden hat.

Wenn morgen die große Ausstellung aktueller Kunst „Fontanelle“ beginnt, wird eine Karawane von Berlin nach Potsdam unterwegs sein, und vielleicht nicht zum letzten Mal. Der Kunstspeicher in Potsdam ist zwar noch kein ständiges Haus, könnte aber noch eins werden. Und schon hat sich, spontan in dieser Woche, ein Brandenburgischer Kunstverein Potsdam konstituiert, der zunächst die Übernahme des Biennale-Beitrags von Nam June Paik sichern will. Nach Potsdam. Nicht nach Berlin.

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