■ Regierung und SPD nach dem Karlsruher Spruch: Wie gehabt – Blinde-Kuh-Spiel
Leicht gedämpfte Sieger, halb zufriedene Verlierer – zumindest psychologisches Fingerspitzengefühl haben die Karlsruher Richter mit ihrer jüngsten Entscheidung bewiesen. Die Opposition darf Gesicht wahren, die Bundesregierung bekommt einen leichten Rüffel – und ihren Willen.
Bis auf weiteres entscheidet nicht mehr das Kabinett in bekannt souveräner Manier, sondern das Parlament über die umstrittenen Bundeswehreinsätze. Doch die Somalia-Mission hat bereits früher ihre Koalitionsmehrheit im Bundestag gefunden. Jetzt soll das ganze noch einmal, ordentlich geschehen. Das wird es dann eben. Die Mission jedenfalls, die nach den jüngsten Kämpfen in Mogadischu bereits ernstlich gefährdet schien, ist gerettet. Die Konzession des Gerichts an die Kritiker einer militärisch flankierten Außenpolitik erschöpft sich in einem Urteil, das auch für die Verlierer die Chance bietet, es sich schöner zu reden, als es ist.
Gegen die Entscheidungsmacht der Regierung und für das Parlament – in dieser Richtung hätte schon auch eine mutigere Karlsruher Urteilsvariante liegen können. Die verfassungsrechtliche Unsicherheit und die unbestrittene Bedeutung der Militäreinsätze als Zäsur einer jahrzehntelang zurückhaltenden Praxis hätte eine Zwei-Drittel-Mehrheit für die parlamentarische Entscheidung wohl rechtfertigen können. Damit allerdings wäre die allseits gelassene Aufnahme des Urteils dahin gewesen. Die Regierung hätte die Auslieferung der deutschen Außenpolitik an die Opposition beklagt, die Opposition ihrerseits hätte das Ende des Somalia-Einsatzes nicht nur in Karlsruhe beantragen, sondern selbst qua Abstimmung herbeiführen müssen: Auch nicht ganz einfach für eine Partei, die ungern Zweifel an ihrem patriotischen Verantwortungsbewußtsein aufkommen läßt. Jedenfalls hätten die Richter damit nicht nur die Entscheidung an das Parlament gegeben, sondern zugleich für beide Seiten den Verhandlungs-, am Ende wohl den Konsenszwang implantiert.
Doch nach dem jüngsten Richterspruch steht die Union so wenig wie zuvor unter Druck, ihre Maximalpositionen zu überdenken. Sie besteht weiter auf Bundeswehreinsätzen auch ohne UN-Mandat, zu beschließen mit Regierungsmehrheit. Die SPD sieht ihrerseits keine akute Notwendigkeit, ihren Blauhelm- Fundamentalismus aufzugeben. Dazwischen macht Kinkel mit seinem passablen Kompromißvorschlag schlechte Figur. Zwar hat sich die Polarisierung im Streit um die künftige Rolle der Bundeswehr mit dem Karlsruher Urteil nicht verschärft, doch eine politische Lösung ist so wenig greifbarer wie zuvor. Paradox: das Karlsruher Gericht hat eine Entscheidung getroffen, nach der man ihm kaum vorwerfen kann, es wildere im politischen Terrain. Es hat die Entscheidung an die Politik delegiert. Offensichtlich vergebens. Bonn wartet weiter, auf die Karlsruher Entscheidung in der Hauptsache. Bis dahin bleibt unklar, was die Verfassung zuläßt. Auch künftig wird die Republik ihrer wortreich beschworenen internationalen Verantwortung in einer Art Blinde-Kuh-Spiel nachkommen und – was am schwersten zu ertragen ist: in den penetranten Klageliedern der Regierungskoalition wird „unser Ansehen in der Welt“ weiter damit verknüpft werden, was deutsche Soldaten künftig dürfen oder nicht. Matthias Geis
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