: Nachschlag
■ Moderate Moderne
Siemens hat ein Kulturprogramm, dieses Kulturprogramm hat eine Musikförderung, und diese Musikförderung arbeitet natürlich mit Rundfunkanstalten zusammen, mit wem sonst.
Da freut sich also der SFB 3 über die gemeinsam initiierten, „von unserem Partner ermöglichten“ fünf Juni-Konzerte, und Siemens freut sich über seine Musikförderung, die sich schwerpunktmäßig auf zwei Bereiche konzentriert: die Unterstützung des künstlerischen Nachwuchses und die Förderung „experimenteller, ungewöhnlicher Projekte der zeitgenössischen Musik“.
Das hervorragende junge Freiburger „ensemble recherche“ erhielt so letzten Samstag abend die Gelegenheit, im kleinen Sendesaal des SFB ein paar Stücke aus seinem Repertoire live gesendet aufzuführen. Seine mittlerweile erlangte Omnipräsenz auf Neue-Musik-Festivals hat sich das Ensemble freilich mit einer Reduktion seines Repertoires auf die Klassiker der Moderne und Stücke einer Handvoll namhafter, noch lebender Komponisten erkauft, was einem Rauswurf allzu experimenteller, ungewöhnlicher Projekte gleichkommt. Aber was soll's, Schönberg und Webern schaden nicht und bieten dem moderierenden Wilhelm Matejka die Möglichkeit, sich wieder mal als Intellekt-Entertainer mit tiefgehenden Anekdötchen zu profilieren. Etwa über Schönberg, der anläßlich der Entstehung seiner Kammersinfonie op.9 befand, er habe nun seinen Stil gefunden, wo er doch bekanntlich erst einiges später die Zwölftonmusik erfand. Hinsichtlich Weberns superkurzen drei kleinen Stücken op.11 für Cello und Klavier läßt er sich zu der netten Beobachtung hinreißen, daß die Musik damals „in sich selbst zusammenfiel“.
Morton Feldmans „The viola in my live II“ interpretierte das „ensemble recherche“ zwischendurch gewohnt routiniert, hat es doch auch längst die Referenz-Aufnahme dieses Stückes bei einer konkurrierenden Rundfunkanstalt eingespielt. Aber es ist ja auch ein schönes Stück, das mit seiner spröde zurückgenommenen Klanglichkeit und seiner unaufdringlich insistierenden Motivik immer mal wieder gern gehört wird und dessen Zuordnung zur New-Age-Bewegung genauso polemisch wäre wie die Klassifizierung Pollocks als Tapetenmaler. Den Schlußpunkt, besser die Schlußfläche des Abends setzte einer der meistbeschäftigten deutschen Komponisten der Gegenwart, Mathias Spahlinger, der im Gegensatz zu seinem Vielschreiber-Kollegen Wolfgang Rihm kritischen Geist und kurzgeschorene Haare bewahrt hat. Daher widmet er sein Streichtrio „Presentimientos“ dem musiktheoretischen Adorno-Schüler und -Kopisten Heinz-Klaus Metzger. Die Musik hat er nach seinen eigenen Worten bei Schönberg zusammengeklaut. Matejka nennt das „geborgt“. Aber Spahlinger macht eigene Musik daraus, und was für eine.
Für Siemens aber hofft man, daß es in den Forschungslabors ungewöhnlichere Projekte gibt und experimenteller zugeht, auf daß wir uns nicht um das Scheitern im Konkurrenzkampf eines der größten Arbeitgeber und nun also auch noch Förderer moderater Moderne ängstigen müssen. Marc Meier
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