■ Große Koalition erodiert: Diepgens Dilemma
Große Koalitionen werden von keiner Opposition zu Fall gebracht, sie erodieren im Inneren, bis sie auseinanderbröseln. Die satten Mehrheiten, die ihnen nach außen hin eine träge Stabilität verleihen, sind ein Nährboden für Partialinteressen und Klientelwirtschaft. Wie fruchtbar dieser Boden ist, mußte der Regierende Bürgermeister Eberhard Diepgen in den letzten Wochen gleich zweimal erfahren, als ihm seine eigene Koalition bei der Akademie der Künste die Gefolgschaft verweigerte und beim Schiller Theater erneut gegen ihn opponierte. Landowskys Lamento über dessen Schließung ist für Diepgen weitaus bedrohlicher als alle Protestfaxe, die ihn in den letzten Tagen von Künstlern erreichten.
An dem Vorgang ist zweierlei signifikant für den Zustand der Großen Koalition. Zum einen opponiert die CDU expressis verbis gegen den Verlust der Identität Westberlins. Sie markiert damit am Schiller Theater erneut ihre bekannte Linie, daß nur ein starker Westen den Osten aufbauen kann. Daß Diepgen hingegen die Gerechtigkeit des Mangels auch in den christdemokratischen Stammbezirken walten lassen will, wird ihm von seiner Partei verübelt. Sie mutmaßt ihn hier, nicht zu Unrecht, auf sozialdemokratischer Linie und fühlt sich durch Landowsky weitaus besser vertreten. Von seiner Loyalität hängt folglich Diepgens weiteres Fortkommen ab. Zum anderen entfaltet sich die Opposition der CDU an einem zwar symbolträchtigen, doch relativ unbedeutenden Objekt. Entscheidende Ebenen der Regierungspolitik werden hingegen auf eine geradezu gespenstisch unpolitische Weise administriert und den Experten der Verwaltungen überlassen. Das machte die Stabilität der bisherigen Regierungspolitik aus. Darin eine Qualität der Großen Koalition zu sehen oder gar die Notwendigkeit ihrer Existenz daraus abzuleiten gehört zu den Schimären der Politik. Dieter Rulff
Siehe Bericht auf Seite 22
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