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■ Press-SchlagLust oder Langeweile?

Als Boris Becker 1991 die Australian Open gewann, sah endlich auch der Computer ein, daß der Leimener Monegasse das war, wofür er sich selbst schon lange hielt: der beste Tennisspieler der Welt, die Nummer eins. „Mein Beruf ist Tennisspieler“, jubelte er, voll im Einklang mit sich selbst. „Und diesen Beruf und diesen Job finde ich so geil, so großartig und so schön, daß ich alles dafür mache, was ich für richtig und wichtig halte. Ich bin mit Lust und Freude dabei.“

Nur wenige Monate später war es aus mit der Lust. „Irgendwie wiegt die Freude am Tennis den Kraftaufwand nicht auf“, sprach er im Grabestone und fühlte sich auf einmal „unheimlich alt“. Der plötzliche Vergreisungsprozeß hatte in aller Öffentlichkeit auf dem Centre Court von Wimbledon stattgefunden, jenem Ort, den er gern als sein Wohnzimmer bezeichnet, und Urheber allen Unheils war ein Brutus aus eigenemLande: Michael Stich, der die Nummer eins im Finale aussehen ließ wie die Nummer 2.000. Seit diesem fatalen 7. Juli 1991 hat Becker sein seelisches Gleichgewicht als Tennisspieler, trotz einiger spektakulärer Erfolge, nicht mehr wiedergefunden. Niederlagen in Wimbledon konnte er noch nie vertragen, Niederlagen gegen Stich schon gar nicht, beides in Kombination war mehr, als er ertragen konnte. „Ich habe alles gewonnen. Jetzt gibt es nur noch Wiederholungen. Und die mag ich nicht“, wälzte er Rücktrittsgedanken. Doch er beließ es bei düsteren Andeutungen und zur Strafe steht ihm heute die nächste Wiederholung ins Haus. In sein Haus. Im Viertelfinale von Wimbledon trifft er auf keinen anderen als Stich, gegen den er vor drei Wochen in Queens ein weiteres Rasenmatch verloren hatte. Die Chance, das Trauma von 1991 loszuwerden, aber auch das Risiko, vollends in Depression zu verfallen. „Ich fühle mich frisch und bereit“, verkündete Becker. Stich ließ das gewohnt kalt. Er konterte mit einer glatten Unverschämtheit: „Die bisherigen sechs Spiele zwischen uns waren so langweilig. Hoffentlich wird's mal ein unterhaltsames Match.“ Matti

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