: „Mehr Freund als Vater“
■ In der BRD sind die Vorbehalte gegen homosexuelle Eltern immer noch groß
„Jürgen betrachte ich heute mehr als Freund denn als Vater“, sagt Björn. Der 23jährige Pädagogikstudent weiß seit gut zehn Jahren, daß sein Vater schwul ist. Ein Problem ist das für Björn nie gewesen. Daß die Ehe von Björns Eltern auseinandergegangen ist, hat damit auch nichts zu tun. Björns Mutter und Jürgen hatten sich auseinandergelebt und die Trennung beschlossen. Das Coming-out von Jürgen lief parallel ab. Für seine Ex-Frau kein Drama und vor allem kein Grund, den Kontakt zwischen den Kindern und Jürgen zu beschränken.
Als die Ehe geschieden wurde, war Björn acht Jahre alt. Urlaubsfahrten und gemeinsame Wochenenden mit Jürgen und dessen Freund waren in der Folge eine Selbstverständlichkeit. Und als Jürgen vor zehn Jahren aussprach, was Björn längst wußte, war dies eher eine Nebensächlichkeit. Für Björn waren die eigene sexuelle Orientierung und die seines Vaters zwei Paar Schuhe. Seine Auseinandersetzung mit Homosexualität erfolgte nicht über Jürgen, sondern über seinen engsten Schulfreund. Zwar hatte er mit Jürgen nach dessem „Eingeständnis“ einmal die schwule Kneipenwelt erkundet, doch engeren Einblick in das schwule Leben gewann er über gleichaltrige Freunde. Und er stellte fest, daß er selbst auf Frauen steht. – Die Freunde des Vaters waren, wenn er sie mochte, gute Kumpel, ansonsten Anlaß für Eifersucht; auf beiden Seiten. Die Streitereien mit seinem Vater, gegenseitige Verletzungen und Verlassenheitsgefühle interpretiert Björn als „normale“ Konflikte zwischen einem „Scheidungswaisen“ und dem Elternteil, das die Familie verlassen hat. Mit Jürgens sexueller Orientierung hätten diese Probleme nichts zu tun.
Die gesellschaftliche Toleranz gegenüber Lesben und Schwulen ist größer geworden, aber beim Thema Kinder findet sie schnell ihre Grenzen. Gesetze, die es lesbischen und schwulen Paaren – wie in einigen US-Bundesstaaten – ermöglichen, Kinder zu adoptieren, gibt es in Deutschland nicht.
Zum Konfliktfall kann es bei Scheidungen kommen, wenn über das Sorge- oder Besuchsrecht gestritten wird. In den wenigen dokumentierten Rechtsfällen haben die Gerichte die Homosexualität eines Elternteils stets negativ bewertet.
So berichtet Gerhard Schneider (in Gerd Büntzly: „Schwule Väter“, Bruno Gmünder Verlag) von einer Entscheidung des Berliner Amtsgerichtes Tempelhof/Kreuzberg, das einem schwulen Vater das Umgangsrecht mit seinem Sohn absprach, „weil der Vater sich mit seinem Freund in der Öffentlichkeit homosexuell zeige und damit die Entwicklung des Jungen gefährde“. Der Wunsch des Kindes, seinen Vater zu sehen, und die positive Stellungnahme der beteiligten Jugendämter waren den Richtern egal. Sie ersetzten einmal mehr den Begriff des „Kindeswohls“, um das es laut Gesetz immer gehen soll, durch eigene moralische Wertvorstellungen.
Ähnlich auch ein Urteil des Oberlandesgerichts Hamm. Im Sorgerechtsstreit zwischen einem schwulen Vater und einer lesbischen Mutter entschieden die Richter zugunsten der Mutter, weil diese dem Kind gegenüber das Zusammenleben mit ihrer Freundin leichter als eine Art „Tantenverhältnis“ darstellen könne (und solle). Das Kind werde so mit lesbischer Liebe nicht konfrontiert.
Aber auch lesbischen Müttern wurde in mehreren Fällen das Sorgerecht für ihre Kinder abgesprochen. So erteilte 1988 ein Dortmunder Familiengericht einem Vater das Sorgerecht für den zehnjährigen Sohn, weil die Mutter lesbisch ist. Die begutachtende Psychologin konnte zwar keine Hinweise für eine „einseitig männerfeindliche Haltung“ der Mutter finden. Auch die eingeschränkten Kontakte mit Männern im Haushalt der Mutter wären „keineswegs eine akute Gefährdung im Sinne einer zu erwartenden Ausbildung von Entwicklungsstörungen“. Doch würde dies für den Sohn eine „intensivere Auseinandersetzung mit der homosexuellen Lebensform seiner Mutter“ implizieren. Dies wollte man dem Kind offenbar nicht zumuten.
Anders als in den USA ist das Adoptionsrecht für Lesben und Schwule in der Bundesrepublik kein Thema. Bestenfalls können sie eine Pflegschaft übernehmen. In Berlin sind eine ganze Reihe von HIV-infizierten Kindern bei schwulen Pflegeeltern untergebracht. In einem Gutachten, das 1988 im Auftrag der damaligen Berliner Familiensenatorin Schmalz-Jacobsen erstellt wurde, heißt es, daß in Bezug auf das Wohl des Kindes homosexuelle Pflegeeltern in keiner Weise weniger geeignet seien als heterosexuelle.
Doch in der Praxis sieht es anders aus. Denn die Entscheidung liegt im Einzelfall bei den Jugendämtern. Ein schwules Paar, das 1988 in einen anderen Berliner Stadtbezirk umzog, erhielt am neuen Wohnort keine Pflegeerlaubnis mehr. Der nun zuständige Jugendstadtrat bezweifelte damals die „notwendige pädagogische Unabhängigkeit“ der beiden Männer und entzog ihnen die Pflegschaft über einen HIV-infizierten Jungen. Daß die Homosexualität der beiden dabei eine Rolle spielte, räumte er unumwunden ein.
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