Kontroverse Kontrapunkte

Das 4. Symposium „Frau und Musik“ brachte Musikerinnen aus allen Himmelsrichtungen in die Mark Brandenburg  ■ Von Anna-Bianca Krause

Nach dem Ost-West-Dialog, dem Versuch einer deutsch-deutschen Verständigung zwischen Musikerinnen, Musikpädagoginnen, Musikwissenschaftlerinnen und anderen im Umfeld Musik tätigen Frauen, der 1992 stattfand, kommt scheinbar zwangsläufig der Schritt in die große, weite Welt. „Celebrate Diversity“ stand in Großbuchstaben über dem 4. Symposium „Frau und Musik“, das seit 1990 jährlich für einen sowohl theoretischen als auch praktischen musikalischen Austausch sorgt, und sich in diesem Jahr mit „kulturpolitischen Strategien zur Auseinandersetzung mit Rassismus und zum Umgang mit multikultureller Mannigfaltigkeit“ befassen sollte. Bereits im letzten Jahr war der gewählte Rahmen, der Kunsthof Lietzen in der Nähe von Seelow in der Mark Brandenburg, ein Tagungsort, an dem verkehrs- und lärmgeschädigte Städterinnen zurück zur Natur fanden. Inmitten der Skulpturen der Künstlerin Erika Stürmer-Alex und umgeben von Insektensounds aller Arten scheinen verbale Gefechte die Fronten nicht ganz so zu verhärten wie gewohnt.

Dem Titel der Tagung entsprach auch die Herkunft der Teilnehmerinnen: aus Basel, Wien, Erlangen, Moskau, San Francisco, Leipzig, Hamburg und zahlreichen anderen Städten reisten sie an, und in beinahe jedem Gepäck steckte ein Instrument. Ein zu reichhaltiges Programm gab das inhaltliche Skelett vor, Referate und Vorträge, angeleitete musikalische Aktionen, Diskussionsrunden und Konzerte ließen leider wenig Raum für den Austausch am Rande, der ebenso wichtig und oft effektiver ist als das Debattieren zu Dutzenden.

Das zahlenmäßige Ost-West- Gleichgewicht, von den Veranstalterinnen, dem Verein „Frauen machen Musik“, zum Ziel erklärt, war Realität geworden, die Hoffnung auf eine bereits erfolgte inhaltliche wie formale Annäherung allerdings verfrüht. Der Einführungsvortrag der Ostberliner Musikwissenschaftlerin Dr. Bianca Tänzer gab einen Einblick in die unterschiedliche weibliche Musik-Sozialisation, die in der ehemaligen DDR beinahe ausnahmslos über Vokalistinnen erfolgt ist und stets in einem engen Zusammenhang mit den textlichen Inhalten stand. Zwischen Tonbeispielen von Mercedes Sosa, Mahalia Jackson und Uschi Brüning plädierte die Musikwissenschaftlerin in ihrer biografischen Hörreise für wortverbundene Musik und dafür, die Songs von Frauen als Dokumente ihrer Identität zu nehmen. Auch die seit 1991 in Berlin lebende afroamerikanische Jazzpoetin Sharifa Kalif lud ein, einen Blick zurück auf ihre vokalen Vorfahren zu werden, bevor sie eigene Texte vortrug. Vergangenheit und Gegenwart sind darin eng verknüpft, die Lebensweisheiten der Großmutter aus dem Munde der Enkelin zu neuem Leben erweckt. Die Lyrikerin, die sich als „wordmusician“ bezeichnet, bleibt der inhaltbezogenen Tradition des „oral story telling“ treu, die Lebhaftigkeit und Dynamik ihres Vortrags unterstreicht aber auch die musikalische Ebene von Sprache.

Waren die Symposien 1990 in Berlin und 1991 in Hamburg noch hauptsächlich von der Auseinandersetzung über feministische Theorien und weibliche Ästhetik geprägt, so lag der Schwerpunkt des diejährigen Programms eindeutig auf der persönlichen Spurensuche, dem musikalischen Einzelschicksal, das möglicherweise als Erklärungsmodell dienen könnte. Katinka Rebling, Tochter der Sängerin Lin Jaldati, Professorin an der Musikhochschule Hanns Eisler in Berlin und virtuose Geigerin, bot das eindrucksvollste Beispiel musikalischer Biografie. Daß die Künstlerin, die bereits als Kind nach Holland emigrieren mußte und dann mit ihrer Familie in die DDR einwanderte, mit ihren Schilderungen und Beobachtungen auch den aktualitätsbezogensten Beitrag leistete, sollte den jüngeren Referentinnen zu denken geben. Der Abend, der auf dem weiträumigen, ausgebauten Dachboden eines ehemaligen Kuhstalls verbracht wurde, sorgte auch noch für einen weiteren Grenzübertritt der unüblichen Art. Katinka Rebling, die bereits mit ihrer Geige Herkunft, Bedeutung, Melodien und Texte jiddischer Lieder illustriert hatte, ließ sich zusammen mit ihrer Schülerin Jenny Kühn und einer jungen Gitarristin zu einem kleinen, musikalisch sehr heftigen Konzert hinreißen.

Ein ganzer Tag stand dann im Zeichen von Percussion. Die Musikerinnen Uschi Kamischke aus Berlin, Anne Breick aus Frankfurt und Catarina de Paula Borba aus Brasilien gaben theoretische als auch praktische Einblicke in die ethnische Herkunft ihrer Rhythmusstrukturen und -muster. Eine Frage stellte sich hier wie auch anläßlich anderer Diskussionen immer wieder: Woran liegt es, daß deutsche Frauen in so großer Zahl die Elemente anderer, fremder Kulturen in ihrer Musik verwenden, statt sich auf eventuell vorhandene eigene musikalische Wurzeln zu beziehen? Und ist das schon Kulturklau, oder ist Musik eine der intensivsten Möglichkeiten, sich anderen Kulturkreisen und damit auch den politischen Lebensbedingungen zu nähern? Der Wunsch nach einer eingehenden Spurensuche im näheren musikalischen Umfeld wurde laut und soll in einem der kommenden Symposiumsprogramme berücksichtigt werden.

Die Heterogenität der Teilnehmerinnen, die sich nicht nur in der Mischung aus Musikerinnen, Wissenschaftlerinnen und Veranstalterinnen niederschlug, sondern auch in der Unterschlagung der Trennung in einen E- und U-Musikbereich, spiegelte sich zudem im viertägigen Vortrags- und Konzertangebot. Daß das vorgegebene Thema von der Fülle der Informationen immer wieder an den Rand gedrängt wurde, zeigt auch, wie rapide sich vor allem Deutschland die Multikulturalität einverleibt, um sie dann – ganz wie Käse aus Frankreich, Tee aus Ceylon und Marihuana aus dem Libanon – zu konsumieren.

Ein Referat über Musikerinnen im RAP, ein Vortrag über musikalische Grenzgängerinnen, ein kurdisches und ein russisches Konzert sowie ein sehr kontroverses Plenum über die inhaltlichen Erwartungen an zukünftige Symposien brachten neben vielen Einsichten auch folgendes Statement einer Musikerin aus Berlin zutage: „Wenn ich stets Gedanken über Rassismus, Kolonialisierung, Unterdrückung und Faschismus im Kopf habe, dann bleibt mir die Lust auf Musik weg.“