: Erst Buch lesen, dann Gruppe gründen?
■ Bei Kassen und Gewerkschaft laufen die Mobbing-Telefonen heiß / Info-Broschüre für Terroropfer vorgestellt
Ein altes Übel macht unter neuem Begriff Furore: Psychoterror am Arbeitsplatz, neuerdings Mobbing genannt.
Bei Gewerkschaften und Krankenkassen laufen die Telefone heiß. „Wir hatten jede Menge Anrufe“ berichtet Ulrike Zeising, Pressesprecherin der AOK, und bei der Deutschen Angestellten Gewerkschaft (DAG) sind zeitweise gar die Leitungen unter dem Ansturm der Gemobbten zusammgebrochen. „Ich leide schon lange, jetzt weiß ich, was es ist“, bekunden gequälte AnruferInnen. Die ständige Anmache macht ihnen Magen- oder Kopfschmerzen, führt zu Schlafstörungen, Depressionen oder gar zu Selbstmordgedanken.
Die unbekannte Zahl der Terrorisierten in hanseatischen Kontoren, Beamtenstuben und Fabrikhallen bekommt jetzt Unterstützung. Die AOK hat ein „Mobbing-Telefon“ eingerichtet. Ab Montag können sich Gemobbte oder solche, die es nicht werden wollen, dort psychologischen Rat und Beistand holen.
Bis heute gibt es keine medizinische Diagnose für Mobbing. Die Info-Broschüre, die DAG, AOK und Kirchlicher Dienst in der Arbeitswelt (KDA) jetzt herausgegeben haben, definiert als Psychoterror am Arbeitsplatz, wenn eine Person „systematisch mindestens einmal die Woche über einen Zeitraum von mindestens einem halben Jahr“ ständiger Kritik ausgesetzt ist, angeschrieen, beleidigt, belästig oder mit sinnlosen Aufgaben betreut wird. „Jeder schmeißt sich auf das Thema“, warnte gestern bei der Vorstellung der Broschüre Udo Möckel, Sozialsekretär im KDA: „Nach dem Motto Buch gelesen – Gruppe gründen“.
Harte Fakten über Mobbing gibt es nicht. Mehr als eine Million Arbeitnehmer in Deutschland sind nach Schätzung des Hamburger DAG-Chefs Uwe Grund Opfer. Mit der Solidarität ist es nach seinen Erfahrungen schlecht bestellt. „Die Bereitschaft, sich in Form von Zivilcourage für diese Kollegen einzusetzen, ist gering“, klagt Grund. Wegschauen mache aber den Terror erst möglich.
Vera Stadie
“Mobbing-Telefon“ bei der AOK ab 23. August: 2023-0209
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