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Familienfest

■ Nono und Schönberg mit Ingo Metzmacher und Ensemble Modern

Wenn sie noch lebten, wäre es ein gigantisches Familienfest gewesen. Das Ensemble Modern unter Ingo Metzmachers Leitung und der NDR-Chor spielten und sangen Nono und Schönberg am Mittwoch abend im Studio 10 des NDR. Fünf eher selten gespielte Stücke im Wechsel von Schwiegersohn Luigi und Schwiegerpapa Arnold begeisterten die Zuhörer in hervorragenden, stimmgewaltigen Interpretationen.

Das war aber nicht immer so: Luigi Nonos „Polifonica Monodia-Ritmica“ wurden 1951 nach der Uraufführung von der FAZ als „Verdauungsstörungen eines musikalischen Stotterers“ verpönt. Das scheint verwunderlich, wenn man die drei Sätze für sechs Instrumente und Schlagzeug hört. Der Aufbau von Motiven in der Verdichtung des ruhigen Eingangssatzes, ostinate Signale und virtuose, scheinbar arhythmische Schlagzeugsoli boten einen spannenden Konzerteinstieg.

Den „Gipfelpunkt der Musik“ nannte Schönberg-Schüler Anton Webern die „Herzgewächse“ des Meisters. Sopranistin Lucy Shelton erklamm diesen Gipfel mit gewaltigem Stimmumfang bis zum dreigestrichenen c gleich zweimal. Das kurze und ungewohnte Klangerlebnis für Sopran, Harmonium, Celesta und Harfe hörte man auch wegen des hervorragenden Zusammenspiels gerne in der Wiederholung.

Der NDR-Chor bewies in den „Cori di Didone“ aus einem Ungaretti-Zyklus sein Können bei der Umwandlung von Worten in Klang, und bei der für Nono typischen Auflösung der Sprache in phonetische Kleinteile. Stimmliche Klangwellen wurden von den heftigen Schlagzeugschauern gebrochen.

Nach der Pause ging das Ensemble Modern richtig zur Sache: mit Schönbergs kurzen, umso voluminöseren Orchesterstücken von 1919 in einer Fassung für Kammerorchester von Felix Greissle. Nach einem kurzen Schrecken über den ungewohnt reduzierten Klangkörper wurde der Reiz dieser Fassung deutlich. Die Strukturen der fünf Stücke - der „bunte ununterbrochene Wechsel von Farben, Rhythmen und Stimmungen“, wie Schönberg es beschrieb - wurden transparenter, ohne daß etwas von der Kraft und der hohen Expressivität verloren ging. Die zwölf Musiker bestachen mit ihrer ausgefeilten Dynamik und ihrem virtuosem Spiel. Nur bei „Peripetie“ konnte selbst das harte Spiel des Ensembles die fehlenden Blechbläser nicht ersetzen.

Ein Zusammentreffen von fast euphorischem Sologesang, Gitarre, schrillen Becken- und Metallstabklängen, sowie Streicherdissenzen beendete das Konzert: Nonos „Canciones a Guiomar“, die Vertonung eines Liebesgedichtes von 1963. Viola, Cello und Kontrabaß werden zwischenzeitlich als Handtrommeln benutzt, am Ende nimmt ein Frauenchor den Namen „Guiomar“ auf und läßt ihn sanft verklingen.

Niels Grevsen

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