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Much Moore: Drei Tage Schönklang & Experiment

■ Radio Bemen-Festival für und mit Michael Moore / Acht Gruppen spielten die Kompositionen des Bläsers in der Schauburg

„Wer ist Michael Moore?“ fragte das Programmheft und spielte damit auf die Tatsache an, daß der Klarinettist, Altsaxophonist und Komponist bisher nicht sehr bekannt ist. Von KollegInnen wird der US-Amerikaner allerdings wegen seiner Vielseitigkeit geschätzt. Grund genug für die Jazzredaktion von Radio Bremen, ihm das dreitägige Festival „Moore & more“ zu widmen. Die Schauburg war an den drei Tagen aber meist nur zur Hälfte gefüllt. Leider. Doch die, die kamen, werden Moore sicher bekannter werden lassen.

Der schüchterne Musiker hat die Möglichkeit des Festivals, seine vielfältigen Aktivitäten zu präsentieren, eindrucksvoll genutzt. Dabei waren die acht vorgestellten Formationen nur ein Teil der Projekte, in denen er seine Ideen verfolgt. Stilistische Begrenzungen scheint der Wahl-Amsterdamer nicht zu kennen. Sein Repertoire reicht von volksmusikalischem Material bis zu experimenteller Musik. Die Klammer liegt dabei in seiner Fähigkeit zur behutsamen Balance von Wohlklang und Experiment. Unüberhörbar ist seine Vorliebe für schöne Melodien. Moore selbst äußerte sich in einem Gespräch nach Ende des Festivals sehr zufrieden über die Auftritte.

Den Auftakt machte das Trio „Choro Combinado“. Choro ist eine melancholische Tanzmusik aus den städtischen Zentren Brasiliens. Sie entstand Ende des 19. Jahrhunderts aus der Verschmelzung afrobrasilianischer Rhythmen und europäischer Tänze, besonders der Polka. Mit Rogerio Bicudo (g) und Silvano Michelino (perc) entwickelte Moore auf der Klarinette wunderschöne melodische Miniaturen. Einfache, folkloristische Themen, durchzogen von einer lächelnden Traurigkeit.

Beim Quartett „The voice is the matter“ steht die Sängerin Jodi Gilbert (Moores Ehefrau) im Mittelpunkt. Sie begeisterte mit osteuropäischen Vokaltechniken. Kehlkopfsingen, Kiekser, Jauchzen, mal traditionell, mal versetzt mit experimenteller Stimmakrobatik - fauchend, schnaufend, in den Tonlagen springend und zusammen mit ihren Begleitern in expressive Free-Sequenzen ausbrechend. Ihre drei Begleiter (Moore- as,cl,bcl; Ernst Glerum-b; Alexei Levin-acc) stellten sich ganz in den Dienst der Stimme. Das Publikum war begeistert.

Nicht so überzeugend fiel dagegen das Duo Moores mit dem russischen Pianisten und Akkordeonspieler Alexei Levin aus. Die Verbindung von Tradition und freien Momenten gelang weniger schlüssig. Das am Mittwoch folgende Bläser-Trio Moore, Tobias Delius (ts) und Wolter Wierbos (tb) lieferte hingegen eine gelungene Verbindung dieser Momente. In kraftvollem und dichtem Klang spielten die drei Bläser mit parallelen Harmonien, wie sie in der traditionellen Musik der Balkan-Insel Krk gepflegt wird. Eingeschobene Ausflüge in die Improvisation reicherten das stimmige Spiel der parallelen Linien an.

Höhepunkt des Festivals war allerdings der Auftritt des „Trio Clusone“. Mit den Holländern Ernst Reijseger (cello) und Han Bennink (dr) bot Moore eine mitreissende Collage aus leidenschaftlicher Improvisation und melodischen Fragmenten einer „imaginären Folklore“. Der unvergleichliche Bennink entfesselte seinen clownesken rhythmischen Budenzauber, Moores Klarinette erschreckte ihre feinen Melodien mit schnorzenden Klangsplittern während das Cello zwischen schön und schräg strauchelte. Überschäumend, voller melodischer Anspielungen brachte das Trio jedes Thema zum Wanken.

Moores Quintett, das am ersten Abend auftrat, ist eine „amerikanische“ Gruppe. Auch mit Herb Robertson (tp), Fred Hersch (p), Mark Helias (b) und Gerry Hemingway (dr) pflegt Moore sein Faible für schöne Melodien und populäre Themen. Ihr Wohlklang wird in freier Improvisation vorsichtig auseinandergenommen, umgeschichtet und neu zusammengesetzt. Dabei spielt die Gruppe mit Stilen, blitzt nicht nur Jazzgeschichte in Zitaten auf. Ein Set voller Intensität und dem Wechselspiel von Kraft mit Grazie. Ähnlich und doch anders arbeitet das aktuelle „ICP Orchestra“. Volkstümliche Themen und bekannte Weisen sind Grundlage für witzig-skurrile Bearbeitungen, durchsetzt von zum Teil ekstatischen freien Ausbrüchen. Ein Beleg, daß Improvisation ausgesprochen unterhaltsam sein kann.

Unterhaltsam war auch „Available Jelly“ zum Schluß des Festivals. Das Septett ist eine Art Bastard aus alternativer Zirkuskapelle und ausgeflippter Unterhaltungscombo. Es bot ein großartiges Finale für das gelungene Festival. Arnaud

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