: Menschen wie du bzw. ich: die Kassiererin Von Claudia Kohlhase
Sie sitzt bei Bengelmann an der Kasse, als wäre das ein Sitzplatz. Kein Platz also, wo man einer geregelten Arbeit nachgeht und Menschen etwas von einem erwarten können, zum Beispiel für etwas zu bezahlen. Hat sie dafür all die hübschen Dinge in Reichweite – Warenpäckchen, Kassenbons und das liebe Geld, bloß um sie schnell wieder herzugeben? Aber sowieso läuft alles gemütlich automatisch zu ihr hin und auf sie hinaus. Ein Machtbereich, der so groß und selbsttätig ist, daß es einen schaudert vor der eigenen kleinen Anwesenheit. Nur die Arme muß sie ein bißchen ausfahren, was nicht weit ist, weil sie ziemlich dick sind, wie auch sonst alles. Auch der kleine Finger, den sie beim sorgfältigen Sortieren des Geldes in alle Richtungen spreizt. Der Rest von ihr sitzt fest. Im Prinzip majestätisch kontemplativ wie Buddha, wären da nicht der weiße Kittel und das grünrote Halstüchlein, das ihren Hals kennzeichnet und die Zugehörigkeit zum Hause.
Daß niemand an ihr vorbeikommt, ist allerdings das Allerschönste. Und da kommt wieder eine Ladung Siebensachen gezuckelt, tja, was nimmt man da als erstes? Die Kekse? Den Käse? Die Milch? Die Nudeln! Jetzt: Wo ist der Preis? Da nicht; da nicht; an der Seite nicht; oben drauf vielleicht? Hinten drunter? Auu, da sitzt er ja, der Schlingel – fast hat er sie ein wenig erschreckt –, und heißt 1.99: Das will jetzt sorgfältig getippt sein. Nachher trifft der Finger wieder daneben, und man muß von vorn anfangen oder beim nächsten Preis sieben Pfennig aus dem Kopf abziehen.
So, was jetzt: vielleicht die Milch; oder doch lieber die Äpfel. Puh, die ham jetzt zwei Aufkleber, ach so, auf dem einen steht das Datum. Das hätte sie doch fast eingetippt. Da sieht man wieder, wie Eile schadet. Die Milch kennt sie erstaunlicherweise gut und gibt der Kasse souverän auswendig den Preis ein. Oha, jetzt das Klopapier: eine Zumutung, sie mit derart viel Fläche zu belästigen. Am liebsten sucht sie die Preise auf Waren, die neu sind: Da muß erst die generelle Überraschung verdaut sein, bevor der Kostenpunkt interessiert.
Es ist auch nicht wirklich eine Katastrophe, wenn mal ein Preis fehlt, wozu gibt's den Supermarktleiter in 100 Metern Entfernung, dem man die Preisfrage zurufen kann: „Herr Schulze! Einmal extra große Damenbinden bitte!“ Nein, wir ziehen solange auch keine andere Ware vor, das würde die Kasse nur verwirren.
Wehe der Kundin, die Preise zu kennen meint: Preise gehören ihr! Und wehe dem, der sie nicht kennt und drängt: Da behält sie die Schokolade so lange in der Hand, bis sie schmilzt. Daß man dann doch immer wieder bezahlen darf, ist eine Art Vergünstigung, die nicht jeder erhält; denn manchmal streikt auch noch die Kassenrolle.
Die Schlangen an ihrer Kasse sind Legende. Aber Schlangen interessieren sie nicht. Und seit der neuen Vorschrift, nach der der Wagenraum unter der Einkaufstasche kontrolliert werden darf, muß sie sich am Ende auch noch über ihren Arbeitsplatz erheben. Das rechnet sie uns übel an, daß wir kein Diebesgut dabeihaben: Wofür steht sie extra auf!?
Es nützt nichts, ihren Arbeitsplatz weiträumig zu umfahren. Sie erwischt dich immer. Es ist, als säße sie immer schon da, wie unter lauter eiligen Hasen der einzige Igel, für immer am Ziel.
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