: Kenia fürchtet eine „schwarze Intifada“
■ In den Touristenregionen Kenias gewinnt ein militanter Islamismus an Boden / Muslime beklagen Diskriminierung, Kritiker wittern „arabische“ Fremdsteuerung
Nairobi (taz) – Jugendliche werfen mit Steinen und Benzinbomben. Autos brennen, auf den Straßen stehen Barrikaden. Polizisten schießen in die Luft inmitten von Tränengasschwaden. Tagelange Straßenschlachten fordern Tote und Verletzte. So sieht es zur Zeit immer wieder an der Ozeanküste Kenias aus.
Seit zwei Wochen flammt in der Hafenstadt Mombasa und im Touristenziel Malindi immer wieder Gewalt auf. Die Strandpromenade der Insel Lamu, wo sonst viele auswärtige Urlauber die alte islamisch-afrikanische Kultur bewundern, ist seit einem Großfeuer rauchschwarz: Das Büro der Regierungspartei KANU wurde angezündet, ebenso das Zoll- und das Gerichtsgebäude. Noch nie in diesem Jahrhundert hat Lamu eine vergleichbare Zerstörung erlebt.
Worum geht es? Viele Bewohner der kenianischen Küstengebiete sind Muslime. Lange Zeit war das egal. Nun breitet sich islamistische Agitation aus. Zentrale Figur ist Scheich Khalid Balala, ein hellhäutiger, bärtiger, feuriger Prediger aus Mombasa und Mitgründer der verbotenen „Islamischen Partei Kenias“ (IPK). Seine Töne sind für Schwarzafrika ungewohnt: Einen dschihad, einen Heiligen Krieg, habe er der Regierung von Präsident Daniel Arap Moi erklärt. In fatwas, in Rechtsgutachten, fordert er den Tod führender KANU-Politiker und droht mit der Aufstellung einer „Armee“. Das Ziel des Scheichs, der mehrmals im Gefängnis gesessen hat: ein islamischer Staat in Kenia. Die IPK wurde bei der Einführung des Mehrparteiensystems nicht legalisiert, da die Behörden keine „ethnisch“ oder „religiös“ begründeten Parteien zulassen.
Bei den Unruhen stehen sich nicht nur Polizei und IPK-Anhänger gegenüber, sondern auch verschiedene muslimische Gruppen. Es hat gewaltsame Auseinandersetzungen zwischen der IPK und der ebenfalls in Mombasa beheimateten UMA (United Muslims of Africa) gegeben. Die UMA hält die IPK für eine arabisch beherrschte Organisation, die die Schwarzafrikaner unterdrücken wolle. Die IPK wiederum hält die UMA für eine von der Regierung gegründete Marionette. Konkret geht es darum, wer in Mombasa, Malindi und anderen Orten die Moscheen kontrolliert. IPK-Prediger nennen ihre etablierten Kollegen schlichte „Koranvorleser“ und halten politische Brandreden.
Machtkampf um den afrikanischen Islam
Daß beide Gruppen vom Ausland finanziert werden, gilt als sicher. Die IPK soll aus Iran und Sudan Geld bekommen, die UMA aus Kuwait und anderen Golfstaaten. So erscheinen die Auseinandersetzungen als Teil eines größeren Machtkampfes um den schwarzafrikanischen Islam. In Tansania tauchte im Frühjahr eine Organisation namens „Balukta“ auf und zerstörte Schlachthäuser, wo Schweine geschlachtet werden. In Uganda gibt es ein Pendant zur kenianischen IPK, und islamistische Prediger sind selbst in Sambia zu finden. Doch da auch in fast ausschließlich muslimischen Ländern Schwarzafrikas, wie Somalia und Senegal, der radikale Islam wenig Boden gewonnen hat, kann die Gewalt in Kenia nicht nur auf äußeren Einfluß reduziert werden.
Die Muslime, die nach offiziellen Angaben etwa sechs Prozent der kenianischen Bevölkerung, nach eigenen jedoch über 25 Prozent ausmachen, sehen sich benachteiligt. „Die Arbeitslosigkeit unter jungen muslimischen Männern an der Küste ist doppelt so hoch wie im Landesdurchschnitt“, sagt der in New York lebende Historiker Ali Mazrui, der als eine Art Sprecher der kenianischen Muslime gilt. Die Schulen seien schlechter, Aufstieg in die Staatsbürokratie sei schwieriger. Islamische Gruppen beklagen darüber hinaus den Ausverkauf wertvollen Küstenlandes an mächtige Politiker und Hotelbesitzer aus anderen ethnischen Gruppen: Die meisten Touristenhotels an der Küste seien nicht in muslimischem Besitz. „Die Diskriminierung gegen Muslime“, sagt Mohammed Bakari, Dozent für Islamwissenschaften an der Universität von Nairobi, „kommt aus den Zeiten des Kolonialismus und der christlichen Missionierung. Dabei leben seit dem achten Jahrhundert Muslime in Kenia.“ Kürzlich nannte Präsident Moi höchstpersönlich die kenianischen Muslime Nachkommen von Sklavenhändlern. Bakari: „Die IPK ist vor allem für junge Akademiker attraktiv, die am meisten an der Diskriminierung leiden.“ Und Mazrui schreibt: „Weitere Diskriminierung könnte die eigentlich gesetzestreue muslimische Bevölkerung Kenias in eine militante schwarze Initifada treiben.“
Wie in Ägypten scheint auch in Kenia der Hauptdevisenbringer Tourismus zum bevorzugten Ziel zu werden. „Wenn Ihr den Islam tötet, töten wir den Tourismus“, warnte kürzlich ein anonymes Flugblatt in Mombasa. Der Großbrand in Lamu – dessen Urheber unbekannt sind – brach aus, nachdem der nichtmuslimische Distriktkommissar eine Delegation von mehreren hundert Muslimen nicht empfangen wollte, die um besseren Polizeischutz auf der banditengeplagten Straße nach Malindi gebeten hatten. Als die Insel brannte, mußten Hunderte Touristen per Schiff in Sicherheit gebracht werden. Senikka Kahl
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