: Nie mehr "Zigeunerhochzeit"
■ Stopp des Medienrassismus: Sinti und Roma fordern Gesetze / Presserat dagegen
Interessiert es die LeserInnen einer Potsdamer Zeitung, daß einem Friseur in Kassel Geld aus der Kasse gestohlen wurde? Oder die eines Magdeburger Blattes, wenn in Budapest jemand heiratet? Oder die des Schwarzwälder Boten, daß in Rom mutmaßliche Taschendiebe verhaftet worden sind? Wohl kaum, möchte man meinen, hätten die Presseagenturen dpa und AP, der die Festnahmen in Italiens Hauptstadt gar ein Funkbild wert war, sie nicht so formuliert: In den Diebstahlsmeldungen mußten jeweils „Zigeuner“ als Beschuldigte herhalten, aus der Heirat in Ungarn wurde eine „rauschende Romahochzeit“, gefeiert von der „Romabevölkerung mit Luxusautos und Dollarscheinen“.
Drei kleine Beispiele vom täglichen Rassismus in den Medien. Romani Rose vom Zentralrat der Deutschen Sinti und Roma zitierte sie auf einer Vortragsveranstaltung mit dem Titel „Aus Schlagworten wurden Brandsätze“, zu der u.a. die Deutsche Journalisten Union und der Schriftstellerverband in der IG Medien zusammen mit der Patriotischen Gesellschaft der Universität Hamburg eingeladen hatten.
Das Geschäft mit solchen Nachrichten lebe geradezu vom Rassismus, sagte Rose. Er spricht für die rund 70.000 Sinti und Roma, die in Deutschland beheimatet sind. Durch die stete ethnische Kennzeichnung von Beschuldigten werde systematisch die gesamte Minderheit kriminalisiert, obwohl eine derartig bedingte Kriminalität überhaupt nicht existiere.
Mit den Klischees von „nichtseßhaften, arbeitsscheuen, asozialen, exotischen Zigeunern“ durch Presse, Rundfunk und Fernsehen, „oft leichtfertig, vielfach auch vorsätzlich diskriminierend“ perpetuiert, würden die in der Bevölkerung vorhandenen Aggressionen zunehmend gezielt auf Sinti und Roma gerichtet. Umfrageergebnisse des Allensbacher Instituts für Demoskopie veranschaulichen das in erschreckender Deutlichkeit: 64 Prozent der Bevölkerung sprechen heute offen ablehnend und herabsetzend über Sinti und Roma. Vor fünf Jahren waren es „nur“ 50 Prozent.
Über 400 rassistische Zeitungsartikel zählte der Zentralrat allein im Jahr 1990 und legte sie dem Presserat vor. 104 davon wurden gerügt, mißbilligt oder beanstandet. Auf eine Stellungnahme zu 160 diskriminierenden Texten aus dem Jahr 1991 wartet der Zentralrat der Sinti und Roma heute noch.
Hintergrund: Das 1956 von Verleger- und Journalistenverbänden gemeinsam gegründete Selbstkontrollorgan hatte 1991 seinen Pressekodex neu gefaßt und dabei abgeschwächt. Verschwunden ist das vordem seit den Zeiten der Alliierten-Hoheit enthaltene Diskriminierungsverbot, wonach die Herausstellung der Zugehörigkeit von Beschuldigten zu ethnischen, religiösen oder anderen Minderheiten in der Presse nur zulässig war, wenn es dafür einen „zwingenden sachbezogenen Anlaß“ gab. Statt dessen sind derartige Stigmatisierungen jetzt erlaubt, „wenn diese Informationen für das Verständnis des berichteten Vorgangs wichtig sind“. Ein Gummi-Paragraph.
Er lasse rassistischen Journalisten alle Freiheiten, hatte Romani Rose erst kürzlich im Spiegel den Sprecher des Deutschen Presserats, Heinrich Werner, kritisiert. Werner, Ex-Pfarrer und im Presserat Vertreter der IG Medien, wies dies als „Beckmesserei“ und versuchte Sprachzensur zurück: „Wir können keiner Gruppe erlauben, mit quasi erpresserischem Druck die Richtlinien zu ändern. Man kann inzwischen zu der Meinung kommen, daß Sie Beschwerden nur einreichen, um ein öffentliches Podium zu haben.“ Rose solle ihm glauben, daß sich in den Redaktionen die „Sensibilität für die Belange der Minderheiten erhöht“ habe.
Wegen der Eskalation von Haß und Gewalt hatte der Zentralrat der Sinti und Roma den ehemaligen Verfassungsrichter Dr. Helmut Simon mit einem Gutachten beauftragt. Simon kommt darin zu dem Ergebnis, daß die aktuelle Berichterstattungspraxis der Medien wie auch der Behörden gegenüber Sinti und Roma und anderen Minderheiten eine unzulässige Ausgrenzung darstellt. Sie verletze das Diskriminierungsverbot des Grundgesetzes. Dieses verpflichte den Staat, Minderheiten aktiv zu schützen und Diskriminierungen mit Gesetzen entgegenzuwirken – bis hin zur Einschränkung anderer Grundrechte wie etwa dem der Meinungs- und Pressefreiheit.
Die Realität ist davon jedoch weit entfernt. Vielmehr habe sie große Ähnlichkeit mit der Praxis der Nationalsozialisten gegenüber den Juden, konstatiert Romani Rose bitter. Die Methode der öffentlichen Verteufelung sei praktisch ungebrochen, seit Reichsinnenminister Wilhelm Frick am 7. 12. 1935 die Polizeibehörden anwies, bei allen Mitteilungen an die Presse über Straftaten von „Nichtariern“ die Rassenzugehörigkeit hervorzuheben.
Tatsächlich verweigert heute die bundesdeutsche Gesetzgebung Gruppen jede rechtliche Handhabe, pauschale Kriminalisierung zur Anklage zu bringen. Statt dessen soll der Deutsche Presserat für freiwillige Selbstkontrolle sorgen. Dessen Instrumentarium erschöpfte sich freilich schon immer in meist folgenlosen Papiersanktionen. Einzig den jüdischen Gemeinden wurde zugestanden, sich als Verband gegen Verächtlichmachung auch rechtlich zur Wehr zu setzen.
Gestützt auf das Simon-Gutachten, das der Vorsitzende des Zentralrats der Juden, Ignatz Bubis, vor der Bundespressekonferenz in Bonn demonstrativ gemeinsam mit Rose präsentiert hatte, verlangen die Sinti und Roma jetzt klare, einklagbare Antidiskriminierungsregelungen und eine entsprechende Änderung der Landespressegesetze. Rose: „Wenn der Presserat versagt, muß der Staat handeln.“
Der Zentralrat der Sinti und Roma hat die Regierungen und Innenminister des Bundes und der Länder um Stellungnahme gebeten. Die Dokumentation dieser Korrespondenz soll in diesen Tagen veröffentlicht werden. Darin wird man lesen, daß Bundesinnenminister Kanther „Meinungsfreiheit“ dem Schutz der Minderheiten vor Rassismus vorzieht. In das gleiche Horn tutet auch Presseratssprecher Werner: „Eine Änderung in dieser Richtung wird es nicht geben. Die Pressefreiheit ist ein ebenso hohes Gut. Der Staat soll sich aus den Medien weitgehend heraushalten.“ Ulla Küspert
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