piwik no script img

Da hilft nur Hadschis Nilpferdpeitsche

Das deutsche Fußball-Nationalteam zeigte sich bescheiden: 1:1 gegen Tunesien  ■ Aus Tunis Matti Lieske

Karl May war ohne Zweifel ein hervorragender Beobachter, auch wenn sich seine Beobachtungen auf die Erkenntnisse zeitgenössischer Autoren und die ihm zur Verfügung stehenden Lexika beschränkte. Dennoch beschrieb er Szenen, die selbst heute noch wie aus dem prallen Leben des Orients gegriffen scheinen.

Auch im Tunis der Gegenwart hätte sein Held Kara Ben Nemsi mannigfaltige Abenteuer zu bestehen. Und ohne seinen Freund Halef wäre er verlorener denn je. Was ist schon der Ritt gegen den Schott el Dscherid oder eine Nacht in einer von abgefeimten Dieben erfüllten Karawanserei gegen den Versuch, eine Eintrittskarte für das Fußball-Länderspiel Tunesien gegen Deutschland zu erwerben, das Schauspiel des Jahres, wie es die örtliche Presse feierte.

Nur durch den unermüdlichen Einsatz seiner berühmten Nilpferdpeitsche könnte Hadschi Halef Omar (den Rest ersparen wir uns) seinem schluß- und schlaggewaltigen Sihdi eines der hochbegehrten Tickets bescheren. Dabei scheint bis zum Einbruch der Dunkelheit noch alles ganz einfach. Langsam, sehr langsam, aber stetig rücken die potentiellen Käufer zum Kassenhäuschen vor, stecken geldbewehrte Arme in die schießschartenartige Luke und bekommen mitunter nach reger Konversation einige der rund sieben Mark teuren Billets ausgehändigt.

Kaum jedoch weicht das Tageslicht, ändert sich die Situation schlagartig. Solange das Licht im Häuschen ausfällt – und das ist fast immer – wird nämlich nichts verkauft. Inzwischen drängen dreiste Menschen von vorne an die Luke heran, und schubsen die undreisten, die sich artig angestellt haben, mit Macht zurück. Diese schreien Zeter, Mordio und nach der Polizei, welche auch erscheint, und diverse vorwitzige mit schallenden Ohrfeigen und wohlgezielten Fußtritten zurücktreibt. Dabei werden umstandslos Unschuldige in Mitleidenschaft gezogen, die brav gewartet haben und dafür kurz vor dem Ziel backpfeifenreich aus dem Verkehr gezogen werden.

Kaum wenden sich die Ordnungshüter anderen Opfern zu, stehen die eben des Feldes Verwiesenen schon wieder vor dem Häuschen, so daß die Schlange vorn und hinten immer länger wird, während der Kartenverkauf praktisch ruht.

„Polizei, Polizei“, schreit es nun so umfassend, daß man meint, man sei in einen gigantischen Raubüberfall geraten statt bei einem Fußballkampf. Die uniformierte Obrigkeit fährt zwar martialisch mit Blaulicht auf, stellt aber ihre Tätigkeit weitgehend ein, vermutlich mangels Nilpferdpeitsche. Die Körper drängen sich immer dichter aneinander, Panik liegt in der Luft, und nur die Hartgesottensten und die hoffnungslos Eingekeilten harren aus, während der Rest – sofern er eine Lücke findet – rasch entfleucht und sich das Match lieber im Fernsehen daheim oder in einer Bierbar anschaut.

Hier wiederum hätte Karl May, der nicht müde wurde, die segensreiche Missionstätigkeit deutscher Bierbrauer in aller Welt über den grünen Hopfen zu preisen, seine helle Freude, während sich dem eigentlich eher mildgläubigen Halef vor Entsetzen alle elf Barthaare kräuseln würden: Ausschließlich Männer in Dreier- und Viererketten vor der Theke, ein Irrtum bei der Bestellung ist ausgeschlossen, das einzige verfügbare Getränk ist Bier. Solcherart gewappnet verfolgen sie das Match, einige mit Blümchen, andere, da der Wirt dem Fernseher den Ton abgedreht hat, mit Transistorradios am Ohr.

Sie alle erinnern sich bestens an den größten Tag des tunesischen Fußballs, als man 1978 den Deutschen in Argentinien um ein Haar noch vor der „Schmach von Cordoba“, der Niederlage gegen Österreich, ein Auscheiden in der Vorrunde zugefügt hätte. Nur weil die Tunesier überglücklich waren, gegen den amtierenden Weltmeister ein 0:0 zu halten, versäumten sie damals, das vorwegzunehmen, was die Algerier vier Jahre später schafften: Einen Sieg gegen Deutschland, der sie im Gegensatz zu Algerien sogar anstelle ihrer Gegner in die nächste Runde gebracht hätte. Doch sie akzeptierten das Remis-Angebot von Vogts, Rummenigge und Co, schoben in den letzten zehn Minuten den Ball in der eigenen Hälfte herum und verschwanden, statt Geschichte zu schreiben, in der fußballerischen Bedeutungslosigkeit.

Auch die nächste WM steigt ohne Tunesien, ein Sieg gegen die Deutschen sollte den gequälten Seelen als Balsam dienen. Dafür allerdings nimmt die Männerrunde in der Bierbar die Sache recht gelassen. Nur dezentes Protestieren, als Buchwald, Kohler und Schulz wie eine multiplizierte Neuauflage des skipetarischen Aladschi-Brüder über ihre Gegner hereinbrechen; dafür auch kaum Mitleid, als Lothar Matthäus umgesäbelt wird. Warum auch, hätte er sich eine Eintrittskarte kaufen müssen, wäre er weit übler dran.

Heiterkeit immer, wenn der tunesische Trainer durchs Bild gestikuliert oder der Torwart mal wieder formschön an einer Flanke vorbeisegelt. Gepeinigtes Stöhnen, wenn Andreas Möller den Ball hat, der einzige Deutsche, der gefährlich wirkt. Sein Tor nach gröblichem Paß von Schulz erspart der Wirt seinen Gästen gnädig. Er will Feierabend machen, und schaltet das Fernsehgerät in der Halbzeit einfach aus.

Im Restaurant nebenan regiert das Mineralwasser, entsprechend nüchtern geht es zu. Mißmutiges Gebrumm bei Möllers Tor, erstaunte Freudengluckser, als der Schiedsrichter ein Handspiel erspäht und einen Elfmeter für Tunesien pfeift.

Das 1:1 stellt alle zufrieden, auch wenn die tunesischen Stürmer nun ständig in bester Position auf die Nase fallen, als sei ihnen der Scheitan in die Beine gefahren oder Hadschi Halef Omar mit der Nilpferdpeitsche auf den Fersen. Auf der anderen Seite verpufft der geographische Kara-Ben-Nemsi- Effekt, den sich Berti Vogts von der Einwechslung des Bernd Hobsch verspricht, wirkungslos. Die Länderspielbilanz zwischen Deutschland und Tunesien bleibt ausgeglichen, anders als die persönliche Unversehrtheitsbilanz der Stadionbesucher. Diese pflegen ihre blauen Flecken und brennenden Wangen und überlegen, ob sie das nächste Mal nicht lieber über den Schott el Dscherid reiten sollten.

Deutschland: Illgner (Köln) - Matthäus (München) - Schulz (Dortmund), Kohler (J. Turin) - Buchwald (Stuttgart/79. Hobsch/Bremen), Gaudino (Frankfurt), Effenberg (Florenz), Bein (Frankfurt), Ziege (München) - Möller (J. Turin), Riedle (Dortmund/68. Kirsten/Leverkusen)

Zuschauer: 35.000

Tore: 0:1 Möller (55.), 1:1 Faouzi Rouissi (64./Foulelfmeter)

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen