: Eine Erwiderung
■ zu dem Artikel „Herausforderung Brustkrebs“ von Eva Schindele, taz vom 30.5.94
Eine Herausforderung ist das Thema Brustkrebs tatsächlich: medizinisch als Teil der gesamten Krebsmedizin mit ihren Widersprüchen, politisch wegen der ständig wachsenden Anzahl diagnostizierter Neuerkrankungen in den westlichen Industriestaaten, frauenspezifisch wegen des Angriffs auf die soziale/körperliche Integrität der Frau und der sexistischen Elemente in Untersuchungs- und Behandlungsprogrammen.
Typisch für die Diskussion um das Thema ist, wie für alle Krebsarten, daß Entstehen, Diagnostik und Therapie zusammenhanglos nebeneinander existieren und aus gewonnenen Erkenntnissen der klinisch-universitären Forschung keine Schlüsse für die Praxis gezogen werden. Das Dilemma Brustkrebs ist aus diesem Grunde auch nicht unter dem Blickwinkel der vermehrten „Vorsorge“, brusterhaltender oder -entfernender Operationen, Chemo-, Strahlen- und/ oder Hormontherapie zu lösen.
Die Herausforderung besteht vielmehr darin, einen anderen Denkansatz zu wagen, der sich kritisch mit dem Wissenschaftsbegriff, den patriarchalen Strukturen in der Medizin und besonders der Gynäkologie befaßt, der einen Zusammenhang von Krebsentstehung, Diagnostik und Therapie herstellt und sich von dem mechanistischen, zergliedernden Vorgehen in der Medizin und den ihr zuarbeitenden Wissenschaften löst.
Von einer Sozialwissenschaftlerin ist sicher nicht zu erwarten, daß sie über Prozesse der Krebsentstehung detailliert informiert ist. Bedenklich ist aber, wenn eine mit feministischer Wissenschaftskritik durchaus vertraute Wissenschaftlerin die in der Krebsmedizin angewandten Terminologien und aufgestellten Behauptungen kritiklos übernimmt und die sexistischen Argumente zum Beispiel zur Prävention von Mammakarzinomen bestärkt. Mindestens unreflektiert erscheint die Behauptung, Frauen ließen sich aus Angst vor einer Brustkrebserkrankung vorbeugend die Brüste und Eierstöcke entfernen: Zu fragen wäre doch, welches Frauenbild einer Medizin zugrundeliegt, die einer Verstümmelung des weiblichen Körpers aus sogenannter Prävention Vorschub leistet. Und so wundert es nicht, daß die Frage, wieso gerade die weiblichen Sexualorgane im Mittelpunkt von Screeningprogrammen als sogenannte Krebsvorsorge stehen, erst gar nicht gestellt wird.
So ist die Forderung nach Mammographie-Screenings – ungeachtet der Strahlenbelastung – seit vielen Jahren fester Bestandteil der onkologischen und gynäkologischen Debatte. Seit 1993 wird die Einführung der Mammographie- Massenuntersuchungen im Zweijahresrhythmus für unter 50jährige Frauen, im Einjahresrhythmus für Frauen über 50 gefordert und die Aufnahme in das staatliche „Vorsorge“-Programm wird vorbereitet.
Durch das dem Artikel folgende Interview soll die in dem Bericht dargelegte Argumentationslinie untermauert, der aktuelle Stand der Tumordiskussion suggeriert und die „frauenspezifische“ Kritik an der herkömmlichen Brustkrebs-„vorsorge“ und -behandlung dokumentiert werden. Es wird der Anschein von Vollständigkeit in der gegenwärtigen Brustkrebsdebatte erweckt, obwohl die aneinandergereihten Statements lediglich der offiziellen Version bundesdeutscher Krebsmedizin und Gesundheitspolitik entsprechen.
Insgesamt läßt sich feststellen, daß der Beitrag im medizinischen, politischen und feministisch-wissenschaftskritischen Bereich hinter längst gewonnene Erkenntnisse zurückfällt. Die Autorin hat sich weder mit alternativen und/ oder ergänzenden Theorien und Praktiken in der Krebsmedizin befaßt noch mit den auch aus der Schulmedizin lautgewordenen Kritiken an Untersuchungs- und Behandlungsmethoden bei epithelialen Tumoren allgemein und besonders bei Brustkrebs1: So zieht sie zwar den Schluß, daß die Mammographie keine „Vorsorge“, sondern lediglich Früherkennung ermöglicht. Doch bereits dies ist ein Irrtum:
Die Bildvernarrtheit und -fixiertheit der modernen Wissenschaft verschließt sich dem Zugang des Krebsproblems mit anderen Diagnosemethoden. So erfaßt zum Beispiel die Mammographie den Tumor erst bei einer Größe von etwa einem Zentimeter Durchmesser. Aus diesem Grund wird die Erkennung eines Tumors als „Früherkennung“ bezeichnet, auch wenn er bereits mehrere Jahre alt ist.2
Entsprechend spät setzt eine Therapie ein, die den bereits geschwächten Organismus weiter ruiniert, den Tumor zwar eventuell beseitigt, nicht aber die ihn auslösenden Faktoren wie Umweltgifte, Streß, Lärm, Radioaktivität u.a.m. Kritik deshalb auch aus Reihen der Schulmedizin an der „radikalen Krebstherapie“ als Einbahnstraße, weil Langzeitstudien die Bildung von neuen Tumoren und Leukämien als Folgeerscheinung nachgewiesen haben.3 Unseriös und schlecht recherchiert wirkt der Beitrag auch dort, wo die Entdeckung des sogenannten Brusttumor-Gens beschrieben wird. Zum einen wird damit kritiklos die Aussagekraft der Genforschung bezüglich auftretender Mammakarzinome als objektiv und verifizierbar übernommen, zum anderen steht der Aussage der Genforscher eine Langzeitstudie der Harvarduniversität mit 121.700 Frauen gegenüber, wonach höchstens 2,5 Prozent aller Brustkrebserkrankungen auf genetisch-familiäre Dispositionen zurückzuführen sind. Der Leiter dieser Studie bedauert gar, daß damit die Chance, ein Gen zu finden, das Brustkrebs auslöst, geringer geworden sei. Doch ob es nun 2,5 oder fünf Prozent potentiell genetisch bedingte Brustkrebspatientinnen sind, kann nicht darüber hinwegtäuschen, daß auf alle Fälle mindestens 95 Prozent aller Erkrankungen eine andere Ursache zugrunde liegt, worunter auch traumatische Erlebnisse und ähnliche Einflüsse fallen.
Daß „Früherkennung“ nicht vor Brustkrebs schützt und „wirksame Therapien“ nicht existieren, sollte auch der Autorin die Unzulänglichkeit der Krebsmedizin verdeutlichen. Doch weit gefehlt:
– Angesprochene Präventionsmaßnahmen sind auf individuelle Aspekte beschränkt, Forderungen nach Ursachenforschung bleiben wegen fehlender politischer Zielsetzungen konsequenzlos und Minimalforderungen nach Begleitmaßnahmen zur Lebensqualitätsverbesserung beschränken sich auf die eigenverantwortlichen Verhaltensänderungen.
– Schonende medizinische Begleitmaßnahmen zur Verlängerung der Gesamtüberlebens- und der metastasenfreien Zeit sowie der gezielten Verbesserung der Lebensqualität erhalten keinen Raum.
– Selbst anerkannte ergänzende bildliche Diagnoseverfahren wie die Sonographie (besonders bei jungen Frauen) und die Magnetresonanztomographie werden nicht erwähnt.
– Problematisch, weil undifferenziert, auch die Aussagen zur Hormontherapie, die unter bestimmten Umständen das Wachstum des Tumors eher fördert als bremst.Heide Blume, Angelika Voß, akut e.V., Dortmund
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