Pimmel

■ Fanny Müller: Die 17. Geschichte von Frau K.

as muß schon einige Jahre her sein – Frau K.s 77. oder 78. Geburtstag – und die Kaffeetafel war auf fünf Uhr angesetzt. Ich komme erst gegen halb sechs aus dem Büro und eile im Laufschritt die Susannenstraße hoch, als mir Ywonne, Frau K.s 11jährige Enkelin, in die Arme läuft. Sie verläßt gerade das Café Stenzel mit einem riesigen Tablett voll Butterkuchen. Wieso denn erst jetzt? „Trixi hat die Käsesahne aufgefressen!“ Unterwegs berichtet sie, daß Oma die Torte erst mittags gebacken, dann zum Abkühlen draußen vor die Küchentür gesetzt und dabei unvorsichtigerweise die Tür offengelassen hat. Trixi, das „entfamte“ Dackeltier, hatte gut die Hälfte der unverhofften Zuspeise weggeschlabbert und sich danach auf dem Rest zur Ruhe gelegt. Als wir ankommen, sind schon alle da. Gerda, Frau Petersen, Martina, Rosita, Emmi, Gertrud und Anneliese Köster. Mit einem Blick auf den Kaffeetisch überzeuge ich mich, daß wir auch ohne den Butterkuchen nicht verhungert wären. Und verdursten werden wir auch nicht. Auf der Fensterbank steht eine Batterie Flaschen: Eierlikör, Apfelkorn, Cherry Brandy und Stonsdorfer. Das kann ja heiter werden. „Für nachher gibt das noch Schnittchen!“ verkündet Frau K.. Übrigens hat sie Alfred und Herrn Kuhlmann nicht eingeladen. „So wird das gemütlicher!“ Frau Petersen hat auch tatsächlich schon ihr Korsett aufgehakt. Unter der Heizung liegt Trixi und nimmt übel. Sie ist mit dem Gartenschlauch abgespritzt worden.

Nachdem wir alle kräftig zugelangt und den einen oder anderen Gürtel und Reißverschluß gelockert bzw. runtergezogen haben – wir sind ja unter uns Frauenspersonen – kommt das Gespräch auf die abwesenden Nachbarn. Als wir damit durch sind, kommen die Schnittchen. Danach tritt eine allgemeine Mattigkeit ein, die Frau K. dazu veranlaßt, den Fernseher einzuschalten. „Das gibt so ne Talk-show mit Kerle, die auslännische Frauen an deutsche Mannsleute vermitteln.“ Die Unterhaltung ist schon im Gange. Vier Herren in tadellosen Anzügen und dito Jacketkronen werden von einer Moderatorin interviewt. Gerade wendet sie sich an einen der Herren, den wir Herrn B. nennen wollen, und der in Pinneberg (kann auch Elmshorn gewesen sein) eine entsprechende „Agentur“ besitzt. – Ihm sei doch vor einigen Monaten etwas Erstaunliches passiert? Herr B. berichtet bereitwillig: Im Zuge einer kleinen Herrenparty – er habe gerade in zwangloser Kleidung auf dem Tisch gesessen - sei ihm von einer Philippinin, „meine damalige Verlobte“, der Penis abgebissen und auf den Teppich gespuckt worden. „Ywonne!“ sagt Frau K. scharf, „du gehst jetz ma in die Küche und kuckst nach, ob die Eisschranktür zu is!“ Ywonne mault. „Immer wenn das spannend wird...“ „Raus!“ Wir wenden uns wieder dem Bildschirm zu. Herr B. lobt die Geistesgegenwart seiner Freunde, die sofort 112 angerufen und das Teil eingesammelt hätten und dann mit Blaulicht ins Krankenhaus. Und siehe da: Es wurde wieder angenäht. „Und heute“, schmunzelt Herr B. in die Kamera, „steht alles wieder zum besten.“

Eine tödliche Stille breitet sich sowohl im Studio als auch bei uns im Raume aus. Wer wird das Schweigen brechen? Frau Petersen. „Also, ich weiß das ja auch nich“, sagt sie, „aber diese Auslännerinn' ham irgendwie kein Benimm...“ „Du sachst das“, unterbricht Frau K., „bei uns zu Hause hieß das immer, was aufen Tisch kommt, das wird auch aufgegessen!“