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Ein Potpourri über Schuld

■ Kampnagel: Premiere von „Wir sind noch zu weich gewesen“

Kann man die krankhafte psychische Struktur führender Nazi-Verbrecher auf eine Bühne stellen, wenn man sich der Eindringlichkeit versagt? Wenn man in einer knappen Stunde wenige Original-Äußerungen aus den Nürnberger Prozessen mit symbolischen Handlungen und viel Musik zu einem Potpourri über die Verdrängung von Schuld vermixt? Die Frage ist nicht ganz so rhetorisch gemeint, wie sie klingt, denn wahrscheinlich könnte man. Allerdings läßt sich kaum ein komplexerer Anspruch an ein so sensibles Thema wie das Innenleben von Menschheitsverbrechern stellen, und es ist vor diesem Hintergrund sehr fraglich, ob ein 27jähriger Nachwuchsregisseur hier klug wählt.

Holger Müller-Brandes gelingt es immerhin, der pietätlosen Leichtigkeit zu entkommen, die als Drohung in dem Konzept steckt, den Rechtfertigungsirrsinn des Himmler-Stellvertreters Ernst Kaltenbrunner mit Musik „von Mozart bis Eisler“ zu verschränken. Doch das Konzept als solches überzeugt in seiner Umsetzung keineswegs. Auf einem Parcours aus Erde, in dessen Mitte die Zuschauer sitzen und meist gegen kahle Wände und Heizkörper starren, rennen, singen und sprechen ein Kaltenbrunner (Ulrich Cyran), ein Ankläger, Richter und Verteidiger (Wolfgang Kramer) und eine schön klingende Illusion (Anja Burkhardt). Damit erhält der Zuschauer ein Hörspiel mit Zufallsszenen, das wenig mehr leistet, als daran zu erinnern, daß hinter der größten Gewalt auch die größte Angst steckt.

Ansonsten gilt für dieses Stück wie für viele vorherige Versuche sich mit Nazi-Psychen auseinanderzusetz-en auch, daß ernst gemeinte Versuche der Rekonstruktion in der kurzen Dauer eines Theaterabends mißlingen müssen. Denn das Extrem ist weder exemplarisch noch leicht zu verstehen.

Till Briegleb

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