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Nordseite Hawaii

■ Behörden und Investor wollen das Atelierhaus Wendenstraße 45 in Hammerbrook erhalten

Verwaltung und Verkehr bestimmen Hammerbrook, ein Viertel, das nach der totalen Zerstörung im Zweiten Weltkrieg nicht mehr wiederbelebt wurde. Auch belanglos moderne Architektur und Passagen an wieder freigelegten Wasserläufen ändern am toten Charakter kaum etwas. Doch in einem einsamen Haus von 1910 ist rund um die Uhr Geschäftigkeit. In den Etagen der ehemaligen Darmsortierfabrik in der Wendenstrasse 45 arbeiten mehr als fünfzig Künstler in zehn Ateliergemeinschaften.

Im zweiten Stock experimentiert Oliver Ross mit kommunizierenden Glasgefäßen. In seiner „Psychophysik“ vergegenständlicht er spekulativ Prozesse des Innenlebens, übersetzt Freud-Lektüre in Apparaturen, die druckabhängige Verdrängungsprozesse demonstrieren. In einem anderen Stockwerk spritzt Konstantin Voit mit überlagerten Schablonen Bilder, Silja Schulwitz arrangiert weiche Bügel aus gegossenem Naturkautschuk, Christina Koetschau setzt Körpererfahrung-en in sensible Bilder um, Tim Tyzel gießt und stanzt Verpackungsvari-ationen, während gleich nebenan eine Band übt.

Bei wärmendem Kaffee trifft sich eine Ateliergemeinschaft, die sich in Ironisierung der teilweise unbeheizten Räume „Nordseite Hawaii“ nennt, und diskutiert neue künstlerische Strategien. Die meisten hier gehören zur Künstlergeneration der Mitte-20jährigen. Sie stehen mit einem Bein noch in der Hochschule für bildende Künste und tasten sich mit dem anderen langsam in die Öffentlichkeit vor. Erstaunlich ist die freundschaftliche Stimmung und Kooperation unter den Künstlern der verschiedenen Sparten in diesem Künstlerhaus, das über die Zeit zusammengewachsen ist und so mehr als eine Summe zufällig durch Juryentscheid zusammengekommener Individualisten versammelt.

Doch so leicht übertragen sich weiche Formen und modellhafte Verflüssigungsprozesse nicht auf die Gesellschaft: Mitte dieses Jahres sollte alles vorbei sein, es drohten Abriß und Neubebauung des Areals im großen Stil. Von HfbK-Präsidentin Adrienne Goehler darauf aufmerksam gemacht, daß sich in dem zum Abriß vorgesehenen Gebäude Künstler eingemietet hatten, hat der Investor Dieter Becken die bereits fertige Planung neu begonnen und einen Kompromis gesucht. Damit aber „die Wirtschaftlichkeit nicht wegbricht“, so Becken, müßte der Bezirk ihm, abweichend vom Bebauungsplan, zwei Stockwerke mehr genehmigen. Das sei, so Peter Illies, Leiter der Stadtplanung im Bezirk Mitte, „grundsätzlich machbar“, allerdings müsse die Verträglichkeit genau geprüft werden. Deswegen wurde mit Becken abgemacht, daß ein begrenzter Gutachterwettbewerb, zu dem unter anderem die Hamburger Nachwuchsstars Bothe, Richter Therani sowie der römische Architekt Massimilano Fuksas eingeladen sind, Vorschläge für eine geänderte Bebauung erbringen soll. Dessen Ausschreibung legt, so Becken, die Erhaltung des Atelierhauses fest.

Selbst die sofort vermutete Gefahr der Luxussanierung, die die Mieten in unerschwingliche Höhen treibt, ist durch die Zusage von Becken für langfristige Verträge mit den Künstlern erstmal vom Tisch. Das Gesamtkonzept, zusätzlich zu 18.000 qm Bürofläche auch 4.000 qm Wohnatelierfläche ohne staatliche Zuschüsse zu erhalten, könnte sogar überregionalen Vorbildcharakter bekommen. So dürften die jetzigen drei „Tage der offenen Tür“ kaum von Trauer überschattet werden: das baldige Ende des alternativen Biotops und der Abriß eines der letzten Fabrikgebäude, das den Feuersturm überstand, scheint so gut wie abgewendet. Hajo Schiff

„Tage der offene Tür“: Beginn heute, ab 19.30 mit Live-Musik, Samstag ab 12 Uhr bis open end und Sonntag 12-18 Uhr

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