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Momper und Stahmer vertragen sich

■ SPD-Spitzenkandidatin Ingrid Stahmer und der frühere Regierende Walter Momper traten gemeinsam vor der Presse. Ein Paar, ungleich und doch sehr ähnlich, will das "effektive Miteinander" demonstrieren

Einträchtig saßen sie gestern nebeneinander, Ingrid Stahmer und ihr heimlicher Schatten Walter Momper. Locker und entspannt, wie es in diesen für Sozialdemokraten turbulenten Zeiten zur Seltenheit geworden ist. Selbst in der Kleidung herschte harmonisches Farbenspiel: Die Spitzenkandidatin im blauen Blazer und roter Rose, der frühere Regierende im dunkelblauen Sakko.

Es war der erste gemeinsame Auftritt, seitdem Stahmer im Frühjahr die Urwahl gegen ihren innerparteilichen Konkurrenten klar gewann. Als Stahmer Ende September auf Einladung von Mompers Wählerinitiative „Berlin Brandenburg 2000“ mit grünen Gesundheitspolitikern diskutierte, hatte Momper klugerweise das Podium gemieden. Zehn Tage vor der Wahl harmonieren die beiden, als hätte es die gegenseitigen Verletzungen der vergangenen Monate nicht gegeben. Wer die beiden auseinanderdividieren wolle, der habe sich „getäuscht“, sagt Momper in der trotzigen Art, die man von ihm gewohnt ist. Für Stahmer ist die Konkurrenz gar zum „effektiven Miteinander“ geworden. Derartige Lockerheiten machen schon wieder mißtrauisch. Hatte nicht Momper im Sommer die Spitzenkandidatin bloßgestellt, als er an ihr vorbei seine Runden mit den Bündnisgrünen ins Leben rief? Lobend erwähnt Stahmer nun Mompers Versuch, den Bündnisgrünen „auf den Zahn“ zu fühlen. Das Ergebnis fällt verhalten aus. Eine rot-grüne Koalition? Sei „sachlich möglich“, sagt Momper, es gebe „genügend Gemeinsamkeiten“ die Bündnisgrünen seien der SPD „nähergerückt“. Solche Vorstöße rückt die Sozialsenatorin sogleich wieder gerade. Sicherlich, die Ergebnisse der rot-grünen Runden könnten „sich sehen lassen“. Ihr Konzept, sich beide Optionen gegenüber dem Koalitionspartner CDU und den Grünen gegenüber offen zu lassen, will sie sich nicht vermasseln lassen. „Die wesentlich schwierigen Punkte“, so merkt sie an, seien ja nicht angesprochen worden. Sie nennt die Unwägbarkeiten: Großflughafen, Bio- und Gentechnologie, sozialer Wohnungsbau, Großprojekte wie den Tiergartentunnel. Stahmer will sich nicht vorschreiben lassen, wohin die Reise geht.

Profil hat sie gewonnen in den letzten Tagen, vor allem mit ihrem taktisch motivierten Nein zur Bonner Diätenregelung. Das löste Verärgerung bei der SPD-Bundestagsfraktion aus. Als der SPD- Bundestagsabgeordnete Peter Conradi ihr zugerufen habe, die Berliner sollten nicht noch mal mit Forderungen an die Bonner herantreten, habe sie „zurückbrüllen“ müssen. „Da ist Conradi zu weit gegangen“, sagt sie: Stahmer, die das Image von der „Sozialtante“ abzustreifen versucht.

Momper wirkt an diesem Tag wie der Autoverkäufer, der an sein eigenes Produkt nicht so recht glaubt. Trotz cleverer rot-grüner Marketingstrategie unterscheiden sich die Positionen des Neuköllner Direktkandidaten kaum von denen der Spitzenkandidatin. PDS- Zusammenarbeit oder Tolerierung? Auf gar keinen Fall. Verhandlungen mit Grünen und CDU? Besser zwei Optionen als nur eine. Auch die mit dem Bund vereinbarten Großprojekte will er Rot-Grün nicht opfern. „Ein Senat, der das aufkündigen will, würde gar nicht erst gewählt.“

Stahmer und Momper, so unterschiedlich sie in Temperament und Charakter sind, sind sich weitaus näher, als das öffentlich vermittelte Bild glauben macht. Beide meiden an diesem Tag tunlichst das Wort von der Großen Koalition – doch indirekt beschreiben ihre Bemerkungen genau jenes Modell aus den letzten fünf Jahren. Nur eine „starke, gestärkte SPD“, sagt Momper, werde in eine rot-grüne Koalition eintreten oder „in anderen Koalitionszusammenhängen die Rolle spielen, die ihr zukommt“. Stahmer hält eine CDU- Minderheitsregierung für das schlechteste, was die Stadt derzeit „vertragen“ könne. Über alles andere mache sie sich derzeit keinen Kopf. Nicht nur in diesem Punkt ist sich das ungleiche Paar sehr ähnlich. Severin Weiland

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