Linke Stereotype bedient

■ betr.: „Spaß oder Nichtspaß?“, taz vom 29. 6. 96

Manchmal ist die taz so berechenbar, daß man kotzen könnte. Seit zwei Wochen schlage ich jeden Morgen das Blatt auf in der Erwartung, einen Artikel vorzufinden, der die Fußball-EM als das darstellt, was sie in den Augen der paradigmatischen Linken seit 68 immer gewesen ist: Eine nationalistische Veranstaltung, in der sich das dumpfe Volksempfinden Bahn bricht und bei der sich die aggressive Masse aufgeilt am Tun und Treiben von elf schwitzenden Dumpfbacken im deutschen Trikot, statt die intellektuellen Ergüsse der politisch-moralischen, will sagen linken („die wahre“) Elite des Landes entsprechend zu goutieren.

Beinahe zwei Wochen lang bestätigten sich meine Befürchtungen nicht, wenn man von den reflexartigen Seitenhieben auf Berti Vogts mal absieht. [...] Die paranoiden Entgleisungen der englischen Presse wurden ausgesprochen zurückhaltend kommentiert, von einer beinharten Analyse in Zusammenschau mit den Problemen des europäischen Einigungsprozesses und der aktuellen politischen Lage, wie ich sie von meiner Zeitung erwartet hätte, konnte keine Rede sein. Den Begriff Chauvinismus suchte ich vergeblich. Paßt ja auch irgendwie besser zu Deutschland.

Ich war trotzdem ziemlich zufrieden und vorsichtig stolz auf meine Zeitung, als die deutsche Mannschaft den Fehler beging, das Halbfinale zu gewinnen, und rubbeldiekatz der Artikel von Peter Unfried erschien. Was soll, was kann man dazu eigentlich noch sagen, wenn einer – sich hinter der Autorität Cruyff versteckend (merke: Niederländer sind der reaktionären Denkungsart unverdächtig!) – völlig distanzlos vom „Nationalcharakter“ einer Sportmannschaft spricht? Wenn vom Fußball im „nachsozialistischen Zeitalter“ gefaselt wird, von „konservativen Kräften“ und „materialistischem Ordnungsprinzip“? Gedanken- und geistlos werden linke Stereotype bedient. Wer suchet, der findet: Ordnung, Organisation, Effizienz und der Wille zum Sieg sind deutsche Tugenden, die Unfried im Spiel der Berti-Elf ausgemacht hat, und als solche selbstverständlich materialistisch, mittelmäßig, konservativ.

Man könnte auch Teamgeist sagen, aber das wäre ja irgendwie positiv besetzt und damit undeutsch. Offensichtlich hat Unfried nicht bemerkt, wie hochbezahlte Primadonnen („Utopisten“) in diesem Turnier ins Leere liefen, wenn das Team als Ganzes schlecht organisiert war. Es stimmt, daß Fußballkünstler in der Berti-Elf fehlen. Andererseits hat Unfried von der Dynamik, mit der sich das Team als Team entwickelte, nichts mitbekommen, von der erstaunlichen Steigerung einzelner Spieler ganz zu schweigen. Auch das ist Kreativität.

In Unfrieds schlichtem Weltbild kann nur der Niederländer Edgar Davids (weil schwarz, aus Surinam stammend) ein kreativer Fußballer sein, während die Alternative Blind von vornherein ein „weißer Rationalist“ ist. Schwarz und weiß, sozialistisch und materialistisch, inspiriert und fleißig, gut und deutsch – das sind die Dichotomien, mit denen dieser Artikel arbeitet. [...] Ursula Bender-Wittmann,

Auetal