Erneut Streit auf Kosten von Behinderten

■ Wohnprojekt noch ohne neue Bleibe, schon zahlt Behörde keine Pflegesätze mehr

„Die Behörde meint, Pflegesatzvereinbarungen von einem Tag auf den anderen kündigen zu können, was aus den davon Abhängigen wird, ist ihr egal“, empört sich Margrit Hartmann, Geschäftsführerin des „Vereins integratives Wohnen“. Nicht nur, daß der Verein mit unwilligen Wohnungseigentümern streiten muß, damit eine Wohngruppe von elf Behinderten nicht ganz auf die Straße gesetzt wird. Jetzt stelle sich, so Hartmann, auch noch das Landesamt für Rehabilitation der Behörde für Arbeit, Gesundheit und Soziales (BAGS) quer. Diese weist den Vorwurf zurück und macht den Trägerverein dafür verantwortlich, nicht rechtzeitig eine adäquate Unterbringung gefunden zu haben. Den lachenden Dritten bei diesem Streit sucht man vergeblich.

Seit drei Jahren leben seh-, lern- und sprachbehinderte, blinde oder auch psychisch beeinträchtigte Frauen und Männer in der Wohngemeinschaft im ehemaligen Schleusenwärterhaus in Wohldorf. Nach einem Räumungsvergleich vom Vorjahr sollte die Wohngemeinschaft bis zum 30. Juni 1996 ausziehen.

Daran sei derzeit aber noch nicht zu denken, so Margrit Hartmann: „Wir haben uns um Ersatzwohnraum bemüht und verhandeln dazu noch über den Kauf eines Hauses im gleichen Stadtteil, so daß die Behinderten ihr gewohntes Umfeld nicht verlassen müssen. Doch das steht voraussichtlich erst im Oktober zur Verfügung.“ Deshalb hatte der Verein sich Rat beim Anwalt geholt. Der kam zu dem Schluß, daß die Wohnsituation der Behinderten nicht akut gefährdet sei, da nur gegen den Verein ein Räumungstitel vorliege, nicht aber gegen die einzelnen BewohnerInnen.

Für das Landesamt für Rehabilitation ist die Wohngruppe aber wegen dieses Räumungsvergleichs nicht mehr existent. Die monatlichen Pflegesatzzahlungen (jährlich insgesamt 500.000 Mark) wurden zum 30. Juni eingestellt. Die BAGS wirft dem Trägerverein vor, keine adäquate Unterbringung gefunden zu haben, obwohl er ein Jahr Zeit dafür gehabt habe. Gesprächen über die Zukunft der Wohngruppe sei er ausgewichen oder habe finanziell nicht tragbare Angebote eingebracht. Die Behörde habe sich für alle BewohnerInnen um Unterbringungsmöglichkeiten in anderen Einrichtungen bemüht, wie BAGS-Sprecherin Petra Bäurle erklärt. Dieses Angebot stehe nach wie vor.

Daß diese Menschen aus ihrem sozialen Umfeld gerissen und einzeln auf schon bestehende Wohngruppen verteilt werden sollen, nachdem sie sich in drei Jahren zusammengerauft und Freundschaften geschlossen hätten, kritisiert hingegen der Verein. Außerdem bemühe man sich um Spendengelder, um den Kauf einer neuen Bleibe mitfinanzieren zu können.

Die Kosten für die Betreuung der Behinderten muß der Verein erst einmal selbst übernehmen, bis endgültig geklärt ist, wo die Behinderten künftig wohnen sollen. Später, so Petra Bäurle, würden sie von der Behörde zurückerstattet. paf