Wo bitte geht's zur Zukunft?

Hamburgs Grüne auf Orientierungssuche: Der Weg in die Moderne führt über Paradoxien. „Wir müssen selbst denken“, plädiert da keck Willfried Maier  ■ Von Florian Marten

Grün? War da nicht einst irgendwas mit Ökologie und Anti-Industrialismus? Gab es da nicht mal linke Positionen in Sachen Anti-Kapitalismus, Anti-Militarismus und Anti-Staatsapparatismus? Und heute: Grüne Industriepolitik, Parlamentarismus vom Feinsten und das stete Angebot zum reputierlichen Mitregieren. Wie paßt das zusammen? Paßt es überhaupt?

Auf der Suche nach theoretischer wie praktischer Selbstfindung im Zeitalter der neuen, gerade auch grünen „Unübersichtlichkeit“ hatten sich am vergangenen Wochenende gut hundert Menschen unter der leicht akademischen Überschrift „Die Grünen & die Moderne“ in der Patriotischen Gesellschaft eingefunden. Und tatsächlich, die frische Lust auf Theorie wurde bedient, auch wenn Hamburgs grüne Linke durch fast vollständige Abwesenheit glänzte.

GAL-Parteichefin Krista Sager pointierte die systematische grüne Paradoxie von Protest und Mitmachen, Wendlandwiderstand und Krümmel-Einschaltgenehmigung, neoliberalem Individualismus und staatsverherrlichendem Sozialdemokratismus plastisch an der Position zur schwulen Ehe: „Einerseits haben wir das System von Staat, Ehe und Familie als repressiv kritisiert, andererseits setzen wir uns dafür ein, daß Lesben und Schwule der Segnungen der Institution Ehe teilhaftig werden dürfen.“

Was ist nun richtig? Manchmal durchaus beides, meinte Krista Sager. „Die Grünen schaffen es, in Paradoxien zu leben.“ Und das mache sie modern, wie Willfried Maier, Philosoph, GAL-Fraktionschef und Initiator der Tagung, erläuterte: Die Grünen seien einerseits mit radikaler Kritik an Eckpfeilern der institutionalisierten Moderne groß geworden, andererseits hätten sie auch immer die Wurzeln der Moderne hymnisch bejaht: „Alles ist machbar, Herr Nachbar.“

Der Widerspruch, einerseits zur Macht des Menschen über die Natur zu stehen, Selbstverantwortung, Autonomie und Gestaltbarkeit von privatem Leben wie Gesellschaft zu betonen, andererseits auf die Gefahren genau dieser menschlichen Selbstüberschätzung zu verweisen, ist für Maier das eigentliche Markenzeichen der Grünen: „Aussteigen aus der menschlichen Naturbeherrschung oder an ihre endgültige Fehlerfreiheit zu glauben – beides geht jeweils nicht.“

Statt dessen, so fordern Maier und Sager übereinstimmend, „müssen die Grünen lernen, sich besser innerhalb dieser Paradoxien zu bewegen.“ Das ist freilich leichter gesagt als getan. Die Botschaft des paradoxen Pärchens Maier und Sager stellt nämlich all jene vor große Probleme, die sich in einfache Weltbilder und einfache Lösungsmodelle verliebt haben. Etwa nach dem Motto: „Der Kapitalismus ist an allem schuld.“

Was aber dann? Philosoph Maier: „Wir müssen vor allem unsere Urteilskraft schärfen. Und das bedeutet: Wir müssen selbst denken. Vor allem aber: Wir müssen zuhören lernen und uns in andere hineinversetzen.“

Die „Oberpragmatikerin“ (Sager über Sager) formuliert diese Botschaft ein wenig anfaßbarer: „Wir müssen Konzepte erarbeiten. Dazu aber müssen wir an unsere innerparteilichen Widersprüche heran.“ Ihr graut vor jener paradoxen Situation, wie sie in nicht wenigen rot-grünen Regierungskoalitionen lustvoll vorgelebt wird.

Etwa, wenn die Grünen den Versuch machen, die Rolle von Fundamentalopposition und angepaßtem kleinem Koalitionspartner gleichzeitig zu spielen, statt die Wirklichkeit zu verändern. Krista Sagers Lösungsansatz: „Politik muß von unten kommen. Wir müssen die Kompetenz, die Ressourcen und die Erfahrung der Menschen in den politischen Raum zurückholen.“

Alt-GALier Martin Schmidt dagegen ist die Vision einer ökolibertären Bürgergesellschaft a la Sager-Maier nicht ganz geheuer. Ein bißchen Führung von oben soll schon noch sein: „Das Volk will gut regiert werden. Die Menschen haben das Recht, unpolitisch zu bleiben.“