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Guter Mond

■ Zwei Wissenschaftler beschreiben die "Biologie" des Erdtrabanten

Schon Aristoteles wußte, daß die Fruchtbarkeit von Seeigeln durch die Mondphasen beeinflußt wird. Mehr als 2.300 Jahre später, Anfang der 20er Jahre unseres Jahrhunderts, bestätigten Zoologen die Beobachtung des griechischen Philosophen und Naturforschers: Immer zur Vollmondzeit schwollen bei einer Seeigelart aus dem Roten Meer die Eierstöcke stark an. Die Tiere besaßen dann besonders viele reife Eizellen.

Es gibt eine Vielzahl von ähnlichen Phänomenen, die im Laufe der Jahrhunderte mit dem Erdtrabanten in Zusammenhang gebracht wurden. Sei es bei nachtaktiven Tieren wie Nagern und Fledermäusen, die in hellen Vollmondnächten eine reduzierte Aktivität aufweisen, oder südamerikanischen Nachtaffen, die gerade dann besonders emsig sind. In neuer Zeit konnte bei einigen Arzneipflanzen festgestellt werden, daß selbst die Bildung von pharmazeutisch wirksamen Inhaltsstoffen dem Mondzyklus angepaßt sein kann.

Die beiden Evolutionsbiologen Klaus-Peter Endres und Wolfgang Schad haben über 600 Tier- und Pflanzenarten aufgelistet, bei denen in der einen oder anderen Form eine Abhängigkeit von den Mondphasen festgestellt wurde. In ihrem Buch „Biologie des Mondes“ haben die beiden Wissenschaftler von der Universität Witten-Herdecke die heute gesicherten Kenntnisse über den Einfluß des Nachtgestirns auf das Leben unseres Planeten umfassend zusammengetragen. Sie haben den Versuch unternommen, einige Stränge des Beziehungsgeflechts zwischen belebter und unbelebter Natur nachzuverfolgen und die oftmals faszinierenden Abhängigkeiten lebendiger Wesen von toter Materie auch für Laien verständlich aufzuzeigen.

Mit dem Siegeszug der Naturwissenschaften in den letzten Jahrhunderten wurde der Mond zunehmend entmythologisiert. Schad und Endres zeigen auf, daß er trotzdem mehr ist als nur eine von „Kratern und Staub“ überzogene „Riesen-Schlacke“, die unermüdlich ihre Kreise um unseren Planeten zieht. Aberglauben und mystischen Vorstellungen wird in ihrem Werk der Boden entzogen, zugleich aber der Blick freigegeben auf eine Welt, deren Geheimnisse wir bisher nur in Ansätzen verstehen. Am deutlichsten wird das Zusammenspiel der Kräfte von Sonne, Mond und Erde an den Küsten der Ozeane. Das immerwährende Auf und Ab der Meeresoberfläche spiegelt die rhythmischen Bewegungsabläufe der Himmelskörper wider. Die Gezeiten mit ihrem ständigen Wechsel zwischen den Extremen gelten als eine der Urquellen für die Evolution, weil sie die Entstehung neuer Lebensformen begünstigten. So haben eine Vielzahl der wirbellosen Meerestiere und auch der Landtiere ihren Ursprung in der küstennahen Flachwasserzone. „Von hier nahm die Entwicklung, hin zu den Hochseefischen und den höheren Landtieren, ihren Ausgang.“

Für die Autoren ist es zudem „denkbar“, daß auch die Driftbewegungen der Kontinente durch die freigesetzten Kräfte der „Gezeitenwalze in den Weltmeeren“ beeinflußt werden, die Mondzyklen somit also indirekt auch an der Ausformung unserer Kontinente beteiligt waren und es auch noch sind. Der Mensch selbst schließlich, obwohl ständig darauf bedacht, sich von äußeren Umweltfaktoren unabhängig zu machen, unterliegt ebenfalls einer Vielzahl von mondgesteuerten Phänomenen. Zum Beispiel verändert sich regelmäßig im Laufe des Jahres die Farbwahrnehmung, jeder Mensch ist im Hochsommer mehr blau- und rotempfindlich. In den Tagen um Vollmond aber sind unsere Augen das ganze Jahr hindurch für rote Farben empfänglicher als für blaue. Ein Umstand freilich, der den modernen, allnächtlich von Kunstlicht umgebenen Zeitgenossen in der Regel kaum noch tangiert. Wolfgang Löhr

Klaus-Peter Endres, Wolfgang Schad: „Biologie des Mondes“. S. Hirzel Verlag, Stuttgart 1997. 308 Seiten, bis Ende Mai: 74 DM, danach 89 DM

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