: Ganzheitliches Fließbandverfahren
■ Viele Ärzte verschreiben Homöopathika. Nicht alle sind dafür qualifiziert
Der Rücken ziept, die Nase juckt, die Augen tränen. Und trotzdem keine Lust, die kleinen bunten Pillen der Pharmaindustrie zu schlucken. Was liegt da näher als der Griff zur Naturheilkunde? Im Prinzip kein Problem, doch leider läßt sich der Besuch beim erfahrenen Heilpraktiker nicht über die Krankenkassen abrechnen. So bleibt für viele nur der Gang zum klassisch ausgebildeten Arzt. Nur gut, daß immer mehr Doktoren auch naturheilkundliche Behandlungen wie Homöopathie oder Akupunktur anbieten.
„Gerade bei der zunehmenden Zahl von chronisch kranken Patienten kommen Naturheilverfahren zur Anwendung“, weiß Antonius Pollmann, Vorsitzender des Zentralverbands der Ärzte für Naturheilverfahren (ZÄN). Doch Pollmann benennt auch das Dilemma: Klassische Homöopathie rechnet sich nicht, „sie steht im Widerspruch zum Fließbandverfahren des heutigen Krankenkassensystems und wird wegen des hohen Zeitaufwands nicht vergütet“.
„Ärzte betreiben daher die Homöopathie oft nur halbherzig“, kritisiert Bernd Schmidt, Vorstandssprecher der Interessengemeinschaft Deutscher Heilpraktikerverbände. Meist würden nur anstelle chemischer Präparate Medikamente mit natürlichen Wirkstoffen verschrieben. Das sei zwar wegen der geringeren Nebenwirkungen prinzipiell begrüßenswert, aber bei vielen Krankheitsbildern, beispielsweise einer chronischen Gastritis, spiele es überhaupt keine Rolle, ob klinische oder natürliche Heilmittel eingesetzt werden, wenn die Behandlung nicht aus ganzheitlicher Sicht erfolge. „Ob falsche Ernährung oder die böse Schwiegermutter, Probleme mit dem Beruf oder mit dem Beziehungspartner“, erklärt Schmidt, „ohne Ursachenkenntnis nützt das beste Naturheilmittel nichts.“
Eigentlich sollte die oberflächliche Patientenbetrachtung bei homöopathisch arbeitenden Ärzten ausgeschlossen sein, denn wer von ihnen die Zusatzbezeichnung „für Homöopathie“ im Schilde führen will, muß ordentlich dazulernen: Die 1992 vom Deutschen Ärztetag verabschiedete Weiterbildungsordnung verlangt den „Nachweis besonderer Kenntnisse und Erfahrungen in dem unterschiedlichen Therapieansatz der Homöopathie“. Dreijährige theoretische und praktische Beschäftigung mit der Materie sowie ein sechsmonatiger Therapiekurs sind obligatorisch.
Solche Lehrgänge bieten Fachverbände wie der ZÄN an. „Die Kollegen kommen teils aus eigenem Interesse, teils weil ihre Patienten verstärkt nach naturheilkundlicher Behandlung fragen“, berichtet dessen Vorsitzender Pollmann. Doch das Wissen allein nützt nichts, wenn Abrechnungsmodalitäten der Krankenkassen zur Eile drängen.
Ob nun Arzt oder Heilpraktiker: An erste Stelle, meint Bernd Schmidt, sollte ein Patient das Vertrauen zum Therapeuten stellen, weil selbst bei zwei gleich geschulten Therapeuten der persönliche Bezug zum Patienten und die Fähigkeit zur intuitiven Behandlung ausschlaggebend bleiben.
Und auch das Portemonnaie. Denn wer sich Heilung durch speziell erarbeitete und zeitaufwendige Naturheilkunde verspricht, muß unabhängig vom Titel des Therapeuten in die eigene Tasche greifen. Gereon Asmuth
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