: Wetterbericht zu Road Songs
■ Das minimalistische Popduo „Phonoroid“war Freitag abend mit viel Poesie im Moments
Einige Tips bleiben so geheim, daß kaum einer sie vernimmt. So wurde die Debüt-CD des Duos „Phonoroid“zwar in der Fachpresse durchweg hochgelobt und auf MTV wird gerade ihr erstes Video mit besonderer Empfehlung gesendet. Bei ihrem Auftritt im Moments am Freitag abend hatten sich allerdings kaum zehn Zuhörer eingefunden. Merkwürdigerweise drückte dies aber kaum die Stimmung: Natürlich wünscht man der Sängerin Vanessa Vassar und dem Gitarristen Axel Heilhecker mehr zahlende Gäste, aber andererseits bot ein fast leerer Club auch das ideale Ambiente für ihre minimalistisch, melancholischen Popsongs.
Das Wortspiel „Phonoroid“ist nicht nur Bandname, sondern auch Programm, denn die beiden machen in der Tat akustische Momentaufnahmen: flüchtige, spontan entstandene und flugs in ein oder zwei Takes eingefangene Popsongs, bei denen Vanessa Vassar mit ihrer exzentrischen, kantigen Stimme oft auch wirklich so klingt, als sänge sie, was ihr gerade durch den Kopf geht – während Axel Heilhecker sich von Anschlag zu Anschlag immer wieder neu zu entscheiden scheint, ob er gerade wie Ry Cooder oder wie Bill Frisell klingen will. Zwei Wahlverwandte haben sich da zu einem Projekt getroffen, dessen reduzierte Poesie in den Zeiten der computeranimierten Popmusik so anachronistisch anmutet, daß sie schon wieder avantgardistisch ist. In Vanessas Texten und ihrer Stimme wird dabei viel amerikanische Tradition aufgehoben: Als Kind von texanischen Musikern wuchs sie mit der Banjomusik des Vaters und viel Folk & Countrymusik auf. Sie schloß ein klassisches Musikstudium an, um dann in den 90er Jahren in Berlin im Dunstkreis von MTV als Autorin, Regisseurin von Musikvideos und Sängerin zu arbeiten. Axel Heilecker lernte sein Handwerk als recht freier Jazzgitarrist bei Don Cherry, und machte sich dann als Begleitmusiker von Willy de Ville, Grace Jones, James Belushi und in der Studioband der Harald Schmidt Show einen Namen.
Beide sind also in vielen musikalischen Stilen und Dialekten heimisch, und daraus entsteht die Freiheit, mit der sie scheinbar so übermütig und ohne jede Anstrengung Blues, Folk, Country und Rock vermischen. Bei ihrem Konzert im Moments sah man Heilhecker ständig zwischen seinen sechs verschiedenen Gitarren wechseln. Mal spielte er bottleneck, dann ließ er sein Instrument elektronisch klirren, und so oszillierte er sehr schräg und abenteuerlich zwischen traditionellen Spielstilen und neuen Tönen. Vanessa Vassar sang dazu mit einer merkwürdig spröden, zerbrechlichen Stimme ihre Texte über kleine amerikanische Motels, über „One White Cloud“oder „Western Wear“. „Road Songs“nennt sie diese Tonimpressionen, die einen guten Soundtrack für die Roadmovies von Wim Wenders oder David Lynch abgegeben hätten.
Aber nur Gitarre und Stimme war wohl selbst diesen beiden zu karg für einen Live-Auftritt, und so ließen sie sich einerseits von dem Perkussionisten Harald Großkopf („Ashra Temple“) sehr zurückhaltend und organisch auf handgemachten Trommeln, Bongos oder der afrikanischen „Talking Drum“begleiten. Zum anderen wurden vorfabrizierte Rhythmusschleifen und Originaltöne eingespielt. Zuerst schien dies wie ein unverzeihlicher Stilbruch. Aber die amerikanische Radiostimme mit dem Wetterbericht oder der Sound von Regen auf einem Blechdach verstärkten dann die emotionale Wirkung der Songs so gut, daß man „Phonoroid“gerne verzieh, wenn einige ihrer Schnappschüße dann doch gestellte Aufnahmen waren.
Wilfried Hippen
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