■ Vorschlag: Ein Theaterkrimi: "Spurlos" von Phyllis Nagy in der Pichhalle
Vorschlag
Ein Theaterkrimi: „Spurlos“ von Phyllis Nagy in der Pichhalle
„Elston Rupp, das klingt wie ein Name aus einer anderen Welt. Wie ein Alien.“ Seine Mitmenschen werden schon bei seinem Namen mißtrauisch, und tatsächlich scheint der junge Mann sich in einem ganz eigenen Reich zu bewegen. Ein adrett geschniegelter Kauz. Immer höflich, zuvorkommend, pflichtbewußt, aber auch ein wenig sonderbar. Eines Abends verläßt er mit der Reisebüroangestellten Sarah Casey ein Lokal und wird danach nie wieder gesehen. Und fast alle sind sich einig: Elston Rupp, ein Mann, der so merkwürdig ist wie sein Name, hat sie auf dem Gewissen.
Phyllis Nagy, die junge, erfolgreiche amerikanische Dramatikerin, erzählt ihre Geschichte fast wie einen klassischen Krimi. Ein Mordfall ohne Leiche, mit Zeugen, einem Verdächtigen und einem frustrierten Kommissar. Doch der Plot ist letztlich nur Anlaß für ein Stück über die Einsamkeit in der Großstadt; über Menschen, die eigentlich ganz normal erscheinen, aber bei näherem Hinsehen nicht weniger skurril erscheinen als Elston oder Sarah.
Andreas von Studnitz präsentiert sich mit dieser deutschsprachigen Erstaufführung zum ersten Mal als Regisseur in Berlin. Er weiht den neuen Ausweichspielort des Maxim-Gorki-Theaters ein: die ehemalige Pichhalle auf dem Gelände der Kulturbrauerei. Eine schöne, hohe Halle, in die Claudia Billourou nur wenig Inventar pointiert in den Raum stellt. Phyllis Nagy arbeitet mit geschickt eingesetzten Rückblenden und hart umrissenen Szenen. Von Studnitz nutzt ihre sedierenden Dialoge für die Gestaltung der Figuren und verzichtet lieber darauf, eine Pointe wirklich auszuspielen. Ob der Anwalt Creigton (Gottfried Richter), in dessen Smoking Elston geschlüpft ist, oder Sarahs krakeelende Mutter (Monika Hetterle) – allesamt leben sie ein erbärmliches Leben. Harald Schrott spielt Elston als manischen, aber völlig in sich ruhenden Sonderling. Wenn ihn der Kommissar (Heinz Kloss) zu einem Geständnis bringen will, dreht Elston den Spieß um: Der Polizist wird zum Verhörten, der sein Schicksal und sein kleinbürgerliches Leid offenbart. Schrotts Elston ist ein genialisch Verrückter, als hätten wir es mit Hannibal Lector und dem „Schweigen der Lämmer“ zu tun: stille Wasser und unheimliche Abgründe. Axel Schock
Nächste Vorstellungen vom 28. bis 31.5., 20 Uhr, in der Pichhalle
Nachschlag
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen