Gartenschlauch statt Gießkanne

Das neue europäische Förderprogramm vernachlässigt die Grundlagenforschung  ■ Von Wiebke Rögener

Statt den ganzen bunten Garten europäischer Forschungstätigkeit diffus mit einem warmen Regen aus Brüssel zu bewässern, möchte die EU zukünftig gezielter das Wachstum einzelner, möglichst fruchtbringender Gewächse fördern. Sie erhofft sich davon einen größeren Ertrag. Denn die bisherige Forschungspolitik der EU wurde von einer Expertengruppe unter Vorsitz des Belgiers Etienne Davignon für wenig effektiv befunden. Frieder Meyer-Krahmer, Leiter des Fraunhofer-Instituts für Systemtechnik und Innovationsforschung und Mitglied der Brüsseler Expertengruppe, stellte auf einer Wissenschaftspressekonferenz in Bonn den Bericht vor. Er spart nicht mit Kritik: Die derzeitige europäische Forschungspolitik „hat keine klare Richtung, und die Ergebnisse lassen zu wünschen übrig“. Sie war zu lange „bloßes Auffangbecken für einzelstaatliche und branchenspezifische Wünsche und Ambitionen“. Statt dessen sei endlich eine „gezielte Strategie“ notwendig.

Einen Bruch mit der bisherigen Politik der Forschungsförderung fordert auch die EU-Kommission in ihrem jetzt vorgelegten Entwurf des 5. Forschungsrahmenprogramms, das von 1998 bis 2002 gelten wird. Konzentration auf wenige Schwerpunkte, weniger Bürokratie, schnellere und nachvollziehbare Entscheidungen, mehr Flexibilität heißen die Stichworte. Um dies durchzusetzen, wird vorgeschlagen, zukünftig im Ministerrat mit qualifizierter Mehrheit über die europäische Forschungspolitik zu entscheiden. Unklar bleibe, „wie sich die Beteiligung des Europäischen Parlaments bei der Ausführung der EU-Forschungsprojekte durch die Kommission darstellen wird“, bemängelt Godelieve Quisthoudt-Rowohl, stellvertretende Vorsitzende des Ausschusses für Forschung, technologische Entwicklung und Energie des EU-Parlaments und Berichterstatterin für das 5. Forschungsrahmenprogramm, „und auch was die Finanzierung betrifft, herrscht ein Vakuum“. Die Kommission ließ bisher nur verlauten, es werde mindestens der gleiche Anteil am Bruttoinlandsprodukt wie bisher für das Programm bereitstehen.

Damit hat die EU gerade mal 3,5 Prozent der Mittel zu vergeben, die die Mitgliedsstaaten insgesamt für Forschung aufwenden. Diese will die Kommission, den Vorschlägen des Davignon-Berichts folgend, auf drei Themen konzentrieren: die Erforschung und Nutzung von Ressourcen der lebenden Welt und des Ökosystems, die Schaffung einer nutzerfreundlichen Informationsgesellschaft und die Förderung eines nachhaltigen Wachstums. Neben diesen als „vertikale“ Programme bezeichneten Schwerpunkten werden in drei „horizontalen“ Programmen politische Querschnittsaufgaben verfolgt: Die internationale Rolle der europäischen Forschung soll gestärkt, kleine und mittlere Unternehmen sollen stärker berücksichtigt und die Qualifikation von Beschäftigten im Wissenschaftsbereich verbessert werden.

Aus dieser „karierten“ Programmstruktur wird bereits klar, was der Entwurf dann im einzelnen ausführt: Es geht nicht um Forschungsförderung schlechthin, sondern ausschließlich um die Unterstützung anwendungsnaher Projekte. Nicht zuletzt auf Betreiben Deutschlands wird Grundlagenforschung kaum berücksichtigt, allenfalls dann, wenn sie den unmittelbaren Vorlauf für praktische Anwendungen schafft. Auch weiterhin werden vor allem die Natur- und Ingenieurwissenschaften gefördert. Nur 0,5 Prozent der Gelder waren im 4. Forschungsrahmenprogramm für die sozioökonomische Schwerpunktforschung vorgesehen. Einen größeren Anteil für die Sozialwissenschaften forderten die Forschungsminister Italiens, Dänemarks, der Niederlande, Schwedens und Portugals. Auf den Entwurf des neuen Programms hatte das jedoch keinen sichtbaren Einfluß.

Als Kriterien für die zukünftige Mittelvergabe nennt der Entwurf einerseits die „Exzellenz“, also die wissenschaftliche Qualität der Anträge, andererseits die Relevanz für die Ziele der EU. Konfliktstoff gibt es hier genug. So wird das Kriterium der Exzellenz leicht in Widerspruch geraten zur sogenannten „Kohäsion“, also dem Bestreben der EU, einen Ausgleich zwischen hochindustrialisierten und strukturschwachen europäischen Regionen zu schaffen. Eine Politik, die vor allem gut ausgestattete Forschungsinstitutionen der reicheren Mitgliedsländer unterstützt, ließe sich wohl kaum mit diesem Ziel vereinbaren.

Vor allem aber enthält der Entwurf inhaltliche Widersprüche: Daß zwischen dem Ziel der Nachhaltigkeit und dem Interesse technologieorientierter Unternehmen, mit immer neuen Produkten einen möglichst großen Anteil an den globalen Märkten zu erobern, Konflikte bestehen können, wird nicht thematisiert. Die EU-Forschungspolitik orientiert sich am Innovationsbedarf der europäischen Industrie und deren Konkurrenzfähigkeit gegenüber dem Rest der Welt. Kooperationen mit außereuropäischen Partnern werden da für sinnvoll gehalten, wo Vorteile – „Zugang europäischer Labors und Firmen zu wissenschaftlichen Kenntnissen, die für die Zwecke der Union nützlich sind“ – erwartet werden. Zur Zusammenarbeit mit Entwicklungsländern bemerkte der Davignon-Bericht dagegen: Es habe zwar Erfolge, etwa bei der Erforschung von Tropenkrankheiten, gegeben. „Derartige Programme kommen jedoch vor allem den Entwicklungsländern zugute und weisen nur einen geringen europäischen Mehrwert auf.“ Zukünftig müsse dieser stärker Berücksichtigung finden. Jeder ist sich eben selbst der Nächste.

So wird denn, nach den Plänen der Kommission, die Nutzung biologischer Ressourcen neue Märkte erschließen, Wachstum und Beschäftigung mit sich bringen und die Lebensqualität der Menschen verbessern. Die Informationsgesellschaft wird auf nicht näher erläuterte Weise Millionen von Arbeitsplätzen schaffen, und das ebenso wettbewerbsfähige wie nachhaltige Wachstum der europäischen Industrie wird die Weltmärkte mit innovativen, konkurrenzfähigen und natürlich umweltfreundlichen Produkten beglücken. In den konkreteren Ausführungen zu einzelnen förderungswürdigen Inhalten stehen dann auch Umweltprojekte – etwa zum Wassermanagement in Südeuropa – unvermittelt neben industriepolitisch motivierten Aktivitäten – wie der Entwicklung neuer Flugzeugtypen.